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20
25
BUA 11,29
593
schließlich vom verführerischen Teufel besiegt wurde, der Sünde verfiel und
dadurch vielen Anlass zum Ärgernis gab. Dafür kehrte er, wie es in jenem
Orden Gewohnheit war, äußerst schwer bis ins Herz geplagt mit bitterster
Buße zurück und gab sich in Tränen und Bitten vollkommen der
ruhmreichen Mutter Christi hin. Für eine nicht geringe Zeit in tiefe Trauer 5
versetzt, betete er eines Tages schließlich und sah, als er von einer
Entrückung des Geistes ergriffen war, die ruhmreiche Jungfrau und in ihren
Armen gleichsam den säugenden kleinen Jungen, der von alles
übertreffender Schönheit war. Als er sah, dass die Mutter in seinem Namen
ihren Sohn anflehte, versuchte jener eifrig, sich von der Sünde und den 10
Nöten zu befreien und bat, wieder zur Gnade seines früheren Lebens
zurückgebracht zu werden. Als aber der Knabe gleichsam widerstrebend den
Kopf abwandte und die Mutter dagegen den Knaben auf einen anderen Teil
des Arms schob, um die Miene ihrer Güte leichter auf seine Miene zu
übertragen, wandte jener wiederum das Gesicht ab; die Mutter aber drehte 15
den Abgewandten öfter, und schließlich, nach wunderbarem und frommen
Ringen, überwand die Mutter den Widerstand im Sohn, so dass er seine
Miene gegenüber dem Vergehen aufheiterte und dem Menschen die Sünde
zur Vergebung sowie den Zustand seines früheren Lebens zur Gnade
übergab. Was Wunder? Durch ihr besonderes Vorrecht wurde es Maria 20
nämlich zugestanden, dass sie gemäß dem Propheten „beide tadeln und die
Hand auf beide legen konnte.“
[32] Dies wird im „Buch über die Natur der Dinge“50 sehr offensichtlich
dargelegt, wo gesagt wird, dass in der Wüste, in der das Einhorn, jenes
äußerst wilde Tier, auf den Tod der Menschen und Tiere erpicht 25
umherstreift, „ein jungfräuliches Mädchen ausgesetzt wurde“. Das Einhorn
näherte sich, nachdem es alle Wildheit abgelegt hatte, weil es bei der
50Liber de natura rerum, die Naturenzyklopädie des Thomas von Cantimpre, entstand ca.
1230-1255. S. für weitere Informationen Thom. Cantimpr. BUA prolog.
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schließlich vom verführerischen Teufel besiegt wurde, der Sünde verfiel und
dadurch vielen Anlass zum Ärgernis gab. Dafür kehrte er, wie es in jenem
Orden Gewohnheit war, äußerst schwer bis ins Herz geplagt mit bitterster
Buße zurück und gab sich in Tränen und Bitten vollkommen der
ruhmreichen Mutter Christi hin. Für eine nicht geringe Zeit in tiefe Trauer 5
versetzt, betete er eines Tages schließlich und sah, als er von einer
Entrückung des Geistes ergriffen war, die ruhmreiche Jungfrau und in ihren
Armen gleichsam den säugenden kleinen Jungen, der von alles
übertreffender Schönheit war. Als er sah, dass die Mutter in seinem Namen
ihren Sohn anflehte, versuchte jener eifrig, sich von der Sünde und den 10
Nöten zu befreien und bat, wieder zur Gnade seines früheren Lebens
zurückgebracht zu werden. Als aber der Knabe gleichsam widerstrebend den
Kopf abwandte und die Mutter dagegen den Knaben auf einen anderen Teil
des Arms schob, um die Miene ihrer Güte leichter auf seine Miene zu
übertragen, wandte jener wiederum das Gesicht ab; die Mutter aber drehte 15
den Abgewandten öfter, und schließlich, nach wunderbarem und frommen
Ringen, überwand die Mutter den Widerstand im Sohn, so dass er seine
Miene gegenüber dem Vergehen aufheiterte und dem Menschen die Sünde
zur Vergebung sowie den Zustand seines früheren Lebens zur Gnade
übergab. Was Wunder? Durch ihr besonderes Vorrecht wurde es Maria 20
nämlich zugestanden, dass sie gemäß dem Propheten „beide tadeln und die
Hand auf beide legen konnte.“
[32] Dies wird im „Buch über die Natur der Dinge“50 sehr offensichtlich
dargelegt, wo gesagt wird, dass in der Wüste, in der das Einhorn, jenes
äußerst wilde Tier, auf den Tod der Menschen und Tiere erpicht 25
umherstreift, „ein jungfräuliches Mädchen ausgesetzt wurde“. Das Einhorn
näherte sich, nachdem es alle Wildheit abgelegt hatte, weil es bei der
50Liber de natura rerum, die Naturenzyklopädie des Thomas von Cantimpre, entstand ca.
1230-1255. S. für weitere Informationen Thom. Cantimpr. BUA prolog.