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BUA 11,33
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[3] Daher ist das Gesetz der Freiheit die Liebe. Wenn du sie zu ertragen
bereit bist, wirst du auch unter Christus als Fürsten frei sein. Daher sagt der
Herr im Evangelium: „Wenn der Sohn euch befreit hat, werdet ihr
wahrhaftig frei sein.“ Wenn du es aber ablehnst, dich ihm zu unterwerfen,
wird auch der Fürst der Könige der teuflischen Knechtschaft unterworfen. 5
[4] Es gab nämlich zu unserer Zeit in Deutschland, wie mir ein Bruder des
Predigerordens erzählt hat und es gesehen hat, eine gewisse sehr heilige
Jungfrau, die durch keinerlei Riegel oder Balken eingesperrt werden und
durchaus nicht mit Seilen gefesselt festgehalten werden konnte, ohne dass
sie bald wie von Geisterhand bewegt wurde; so wie ein Pfeil, der, je fester 10
man den Bogen spannt, umso stärker weggeschleudert wird, so wurde sie,
nachdem die Riegel entfernt und die Fesseln zerrissen worden waren,
gleichsam nach Art eines Vogels durch die Luft getragen. Daher wird
gesagt: „Wo nämlich der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.“ Aber weil
jenes allen bekannt war, bezeichnete man es als herkömmliches Wunder, 15
dass dieselbe heilige Jungfrau vor vielen Zuschauern häufig auf ein Feld
hinausging und ungezähmte Vögel jeder Art durch Laute zusammenrief und
in ihrer Mitte, wie eine Henne unter ihren Küken, verweilte, während sie die
einzelnen Vögel mit ihrer Hand und mit Küssen besänftigte. Was Wunder?
Bei jener hatte die Unschuld Bestand, von der Adam abgefallen war; und er 20
zerstörte die Herrschaft der Geschöpfe, die ihm Gott bei der ersten
Schöpfung durch den Gehorsam unterworfen hatte.
[5] Über die Freiheit sagt der Philosoph: „Die Freiheit kann nicht umsonst
sein. Wenn du sie hoch schätzt, müssen alle Dinge gering geschätzt
werden.“ „Nicht weil sie schwierig sind, wagen wir viele Dinge nicht, 25
sondern weil wir sie nicht wagen, sind sie schwierig.“ „Freiheit ist nichts
anderes als der Mut, der sich auf eine gewisse Art selbst bewohnt.“ „O von
welch großen Irrtümern werden die Menschen beherrscht, die um der
Herrschaft willen die Meere durchdringen wollen, und dabei nicht wissen,
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[3] Daher ist das Gesetz der Freiheit die Liebe. Wenn du sie zu ertragen
bereit bist, wirst du auch unter Christus als Fürsten frei sein. Daher sagt der
Herr im Evangelium: „Wenn der Sohn euch befreit hat, werdet ihr
wahrhaftig frei sein.“ Wenn du es aber ablehnst, dich ihm zu unterwerfen,
wird auch der Fürst der Könige der teuflischen Knechtschaft unterworfen. 5
[4] Es gab nämlich zu unserer Zeit in Deutschland, wie mir ein Bruder des
Predigerordens erzählt hat und es gesehen hat, eine gewisse sehr heilige
Jungfrau, die durch keinerlei Riegel oder Balken eingesperrt werden und
durchaus nicht mit Seilen gefesselt festgehalten werden konnte, ohne dass
sie bald wie von Geisterhand bewegt wurde; so wie ein Pfeil, der, je fester 10
man den Bogen spannt, umso stärker weggeschleudert wird, so wurde sie,
nachdem die Riegel entfernt und die Fesseln zerrissen worden waren,
gleichsam nach Art eines Vogels durch die Luft getragen. Daher wird
gesagt: „Wo nämlich der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.“ Aber weil
jenes allen bekannt war, bezeichnete man es als herkömmliches Wunder, 15
dass dieselbe heilige Jungfrau vor vielen Zuschauern häufig auf ein Feld
hinausging und ungezähmte Vögel jeder Art durch Laute zusammenrief und
in ihrer Mitte, wie eine Henne unter ihren Küken, verweilte, während sie die
einzelnen Vögel mit ihrer Hand und mit Küssen besänftigte. Was Wunder?
Bei jener hatte die Unschuld Bestand, von der Adam abgefallen war; und er 20
zerstörte die Herrschaft der Geschöpfe, die ihm Gott bei der ersten
Schöpfung durch den Gehorsam unterworfen hatte.
[5] Über die Freiheit sagt der Philosoph: „Die Freiheit kann nicht umsonst
sein. Wenn du sie hoch schätzt, müssen alle Dinge gering geschätzt
werden.“ „Nicht weil sie schwierig sind, wagen wir viele Dinge nicht, 25
sondern weil wir sie nicht wagen, sind sie schwierig.“ „Freiheit ist nichts
anderes als der Mut, der sich auf eine gewisse Art selbst bewohnt.“ „O von
welch großen Irrtümern werden die Menschen beherrscht, die um der
Herrschaft willen die Meere durchdringen wollen, und dabei nicht wissen,