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BUA 11,51
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Muskeln mit gewaltsamer Beharrlichkeit zerriss. Er schüttete im Winter
eiskaltes Wasser, das er zum Trinken erhalten hatte, heimlich über seine
Brust, damit er durch diese Eiseskälte gequält würde. Und nicht lange
danach verfiel er in den Todeskampf, wobei er so vom Geist erfüllt wurde,
dass Christus aus ihm, so wie er aus einem Sünder einen Evangelisten 5
gemacht hatte, einen Propheten machte. Über sich selbst sagte er nämlich
voraus, dass er ohne Fegefeuer zu seiner ewigen Ruhe enteilen werde, und
nachdem er und dazu auch noch König Heinrich gestorben waren, fiel ganz
Thüringen den größten Unglücksschlägen zum Opfer,1 was wir so
geschehen sahen. 10
[3] Es gab auch einen anderen edlen Ritter aus demselben Land, der jedoch
ein äußerst übler Räuber war. Nach mehreren Jahren wurde dieser zur
Wehklage der Buße bekehrt und ging, nachdem er eine Wiedergutmachung
geleistet hatte, in die Einöde; ausgemergelt durch langes Hungerfasten
quälte er sich dort, bisweilen an jedem Abend, selbst oder durch einen 15
Gefährten, und zwar mit dem Wachs aus der Flamme einer brennenden
Kerze auf eine unerhörte Art des Leidens. Um einer sichereren Lebensweise
willen trat er zum Orden der Prediger über und zeichnete sich durch
Wundertaten und Exempel aus.
[4] Durch den wahren Bericht des ehrwürdigen und gotteswürdigen 20
Magisters Bonifatius, einst Bischof von Lausanne,2 weiß ich, dass ein
gewisser Adeliger aus seiner Diözese sich in der Gegend um das
Alpengebirge anschickte, auf die Jagd zugehen und dass er, als sich der Tag
schon seinem Ende zugeneigt hatte, sein Gefolge mit den Hunden verlor
und allein im Wald zurückblieb. Jener fürchtete nun die Einsamkeit und 25
wartete ziemlich lange, ob er etwas hörte; schließlich hörte er das Gebell
von zwei Hunden aus der Meute. Indem er mit seinem Jagdspieß Geräusche
erzeugte, ermutigte er sie und versuchte, auf Händen und Füßen kriechend,
zu dem Ort hinaufzusteigen, wo er die bellenden Hündchen hörte. Und als
er unter Schwierigkeiten dorthin gelangt war, fand er einen ebenen Platz, 30
1 Heinrich Raspe (um 1204-1247), Landgraf von Thüringen, deutscher Gegenkönig seit 1246. S.
zu ihm die Beiträge in Heinrich Raspe, hg. WERNER. | ^Bonifatius „von Brüssel" (1182/83-
1261), Bischof von Lausanne von 1231-1239, weihbischöfliche Handlungen in den Bistümern
Cambrai und Lüttich (1240-44) sowie Utrecht (1240-41). S. für weitere Informationen Thom.
Cantimpr. BUA 11,30,6.
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Muskeln mit gewaltsamer Beharrlichkeit zerriss. Er schüttete im Winter
eiskaltes Wasser, das er zum Trinken erhalten hatte, heimlich über seine
Brust, damit er durch diese Eiseskälte gequält würde. Und nicht lange
danach verfiel er in den Todeskampf, wobei er so vom Geist erfüllt wurde,
dass Christus aus ihm, so wie er aus einem Sünder einen Evangelisten 5
gemacht hatte, einen Propheten machte. Über sich selbst sagte er nämlich
voraus, dass er ohne Fegefeuer zu seiner ewigen Ruhe enteilen werde, und
nachdem er und dazu auch noch König Heinrich gestorben waren, fiel ganz
Thüringen den größten Unglücksschlägen zum Opfer,1 was wir so
geschehen sahen. 10
[3] Es gab auch einen anderen edlen Ritter aus demselben Land, der jedoch
ein äußerst übler Räuber war. Nach mehreren Jahren wurde dieser zur
Wehklage der Buße bekehrt und ging, nachdem er eine Wiedergutmachung
geleistet hatte, in die Einöde; ausgemergelt durch langes Hungerfasten
quälte er sich dort, bisweilen an jedem Abend, selbst oder durch einen 15
Gefährten, und zwar mit dem Wachs aus der Flamme einer brennenden
Kerze auf eine unerhörte Art des Leidens. Um einer sichereren Lebensweise
willen trat er zum Orden der Prediger über und zeichnete sich durch
Wundertaten und Exempel aus.
[4] Durch den wahren Bericht des ehrwürdigen und gotteswürdigen 20
Magisters Bonifatius, einst Bischof von Lausanne,2 weiß ich, dass ein
gewisser Adeliger aus seiner Diözese sich in der Gegend um das
Alpengebirge anschickte, auf die Jagd zugehen und dass er, als sich der Tag
schon seinem Ende zugeneigt hatte, sein Gefolge mit den Hunden verlor
und allein im Wald zurückblieb. Jener fürchtete nun die Einsamkeit und 25
wartete ziemlich lange, ob er etwas hörte; schließlich hörte er das Gebell
von zwei Hunden aus der Meute. Indem er mit seinem Jagdspieß Geräusche
erzeugte, ermutigte er sie und versuchte, auf Händen und Füßen kriechend,
zu dem Ort hinaufzusteigen, wo er die bellenden Hündchen hörte. Und als
er unter Schwierigkeiten dorthin gelangt war, fand er einen ebenen Platz, 30
1 Heinrich Raspe (um 1204-1247), Landgraf von Thüringen, deutscher Gegenkönig seit 1246. S.
zu ihm die Beiträge in Heinrich Raspe, hg. WERNER. | ^Bonifatius „von Brüssel" (1182/83-
1261), Bischof von Lausanne von 1231-1239, weihbischöfliche Handlungen in den Bistümern
Cambrai und Lüttich (1240-44) sowie Utrecht (1240-41). S. für weitere Informationen Thom.
Cantimpr. BUA 11,30,6.