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sehr schön und mit Gras bewachsen, inmitten der Berge, auf dem er
gleichsam einen großen Mann von angenehmer Gestalt sah, der mit dem
Gesicht hin zu Boden geworfen war; auch nahm er mit erschrecktem Blick
zwei eiserne Stangen zu beiden Seiten des Liegenden wahr. Diesen aus
vielen Wunden und Verletzungen blutenden Mann umkreisten die beiden 5
besagten Jagdhunde mit lautem Gekläff, verstummten aber beim Anblick
ihres Herrn, des Ritters. Der Ritter sagte daher, nachdem er nach dem
Schrecken neuen Mut gefasst hatte, zu dem Niedergeworfenen: „Wenn du
im Namen Gottes kommst, sprich mit mir, und mache mir bekannt, wer du
bist und woher du kommst.“ 10
Zu ihm sagte jener: „Ich komme im Namen Gottes und erscheine dir auf
göttlichen Befehl auf diese Art, damit du in mir Elendem ein Vorbild für
Buße erhältst. Ich bin tot, wenngleich ich dir leibhaftig erscheine. Ich war zu
meinen Lebzeiten ein Ritter, ein furchtbarer Sünder, zu jener Zeit, als
Richard, der König von England,* * 3 einen Krieg gegen Philipp, den König 15
von Frankreich,4 anzettelte. Bei jenem Feldzug also, der von den
Brabanzonen5 in Poitiers und der Gascogne geführt wurde,6 erging ich
äußerst Unglücklicher mich in Zügellosigkeit und Mord und schonte dabei,
vom Mitgefühl ganz abgebracht, niemanden, unabhängig von Stand und
Geschlecht. Unterdessen fiel ich dann einem plötzlichen und sehr schweren 20
Fieber anheim, und dennoch war ich weder reuevoll noch hatte ich
gebeichtet oder etwa die Sakramente des Leibes Christi erhalten. Als aber
die Stunde meines Todes nahte, verstummte ich und siehe da: entgegen aller
meiner Hoffnung wurde mir durch die göttliche Barmherzigkeit geholfen
und ich wurde von einer großen Reue des Herzens bewegt. Wenngleich ich 25
nicht sprechen konnte, vergoss ich bei diesen Dingen dennoch Tränen und
beendete mein Leben, wobei Gott mir Gnade erwies. Sofort nachdem ich
gestorben war, wurde ich zwei äußerst schändlichen Dämonen übergeben,
und muss nun von Folterwerkzeugen wie diesen eisernen Stangen bis zum
Tag des Jüngsten Gerichts gefoltert werden. Heute nämlich trieben sie 30
^Richard I. „Löwenherz“ (1157-1199), König von England. S. aus der Fülle der Literatur für
einen Überblick TURNER/HEISER, Reign of Richard Lionheart sowie die in Thom. Cantimpr. BUA
1,7,7 beschriebenen familiären Zusammenhänge. | ^Philipp II. Augustus (1165-1223), König
von Frankreich seit 1180. S. für weitere Informationen Thom. Cantimpr. BUA 1,1,J-
5Söldnertruppe aus Brabant, die beim vierten Italienzug (1166) Friedrichs I. „Barbarossa“
(1122-1190) in verschiedenen Gebieten erheblich geplündert hatte und deshalb zunächst nicht
weiter eingesetzt werden sollte. Seit den 1170er Jahren kämpften die Brabanzonen in
unterschiedlichen Diensten, u.a. in denen des englischen und des französischen Königs. S.
hierzu Grunda-IANN, Rotten und Brabanzonen. | ^Offenbar die Schlacht von Freteval 1194. S.
hierzu TURNER HEISER, Reign of Richard Lionheart, S. 230f.
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sehr schön und mit Gras bewachsen, inmitten der Berge, auf dem er
gleichsam einen großen Mann von angenehmer Gestalt sah, der mit dem
Gesicht hin zu Boden geworfen war; auch nahm er mit erschrecktem Blick
zwei eiserne Stangen zu beiden Seiten des Liegenden wahr. Diesen aus
vielen Wunden und Verletzungen blutenden Mann umkreisten die beiden 5
besagten Jagdhunde mit lautem Gekläff, verstummten aber beim Anblick
ihres Herrn, des Ritters. Der Ritter sagte daher, nachdem er nach dem
Schrecken neuen Mut gefasst hatte, zu dem Niedergeworfenen: „Wenn du
im Namen Gottes kommst, sprich mit mir, und mache mir bekannt, wer du
bist und woher du kommst.“ 10
Zu ihm sagte jener: „Ich komme im Namen Gottes und erscheine dir auf
göttlichen Befehl auf diese Art, damit du in mir Elendem ein Vorbild für
Buße erhältst. Ich bin tot, wenngleich ich dir leibhaftig erscheine. Ich war zu
meinen Lebzeiten ein Ritter, ein furchtbarer Sünder, zu jener Zeit, als
Richard, der König von England,* * 3 einen Krieg gegen Philipp, den König 15
von Frankreich,4 anzettelte. Bei jenem Feldzug also, der von den
Brabanzonen5 in Poitiers und der Gascogne geführt wurde,6 erging ich
äußerst Unglücklicher mich in Zügellosigkeit und Mord und schonte dabei,
vom Mitgefühl ganz abgebracht, niemanden, unabhängig von Stand und
Geschlecht. Unterdessen fiel ich dann einem plötzlichen und sehr schweren 20
Fieber anheim, und dennoch war ich weder reuevoll noch hatte ich
gebeichtet oder etwa die Sakramente des Leibes Christi erhalten. Als aber
die Stunde meines Todes nahte, verstummte ich und siehe da: entgegen aller
meiner Hoffnung wurde mir durch die göttliche Barmherzigkeit geholfen
und ich wurde von einer großen Reue des Herzens bewegt. Wenngleich ich 25
nicht sprechen konnte, vergoss ich bei diesen Dingen dennoch Tränen und
beendete mein Leben, wobei Gott mir Gnade erwies. Sofort nachdem ich
gestorben war, wurde ich zwei äußerst schändlichen Dämonen übergeben,
und muss nun von Folterwerkzeugen wie diesen eisernen Stangen bis zum
Tag des Jüngsten Gerichts gefoltert werden. Heute nämlich trieben sie 30
^Richard I. „Löwenherz“ (1157-1199), König von England. S. aus der Fülle der Literatur für
einen Überblick TURNER/HEISER, Reign of Richard Lionheart sowie die in Thom. Cantimpr. BUA
1,7,7 beschriebenen familiären Zusammenhänge. | ^Philipp II. Augustus (1165-1223), König
von Frankreich seit 1180. S. für weitere Informationen Thom. Cantimpr. BUA 1,1,J-
5Söldnertruppe aus Brabant, die beim vierten Italienzug (1166) Friedrichs I. „Barbarossa“
(1122-1190) in verschiedenen Gebieten erheblich geplündert hatte und deshalb zunächst nicht
weiter eingesetzt werden sollte. Seit den 1170er Jahren kämpften die Brabanzonen in
unterschiedlichen Diensten, u.a. in denen des englischen und des französischen Königs. S.
hierzu Grunda-IANN, Rotten und Brabanzonen. | ^Offenbar die Schlacht von Freteval 1194. S.
hierzu TURNER HEISER, Reign of Richard Lionheart, S. 230f.