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BUA 11,51
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[8] Und weil es ja viele gibt, die sich im Tod zur Religion flüchten, wollten
sehr viele bezweifeln, was ein in letzter Notwendigkeit empfangenes
Ordensgewand für diese zu tun vermag. Dafür werde ich ein
unzweifelhaftes und äußerst angemessenes Beispiel berichten. Einige
Unfromme unter den Religiösen pflegen den Büßern am Ende ihres Lebens 5
das Gewand zu verweigern, als seien in dem Augenblick diejenigen der
Aufnahme unwürdig, die keinesfalls eintreten wollten, als sie noch gesund
und kräftig waren. Christus hat am Kreuz nach der Vorschrift jeglichen
Rechts einen spät Bereuenden, einen Banditen, als Begleiter an die Pforten
des Paradieses geführt. 10
Wie ich aus dem Bericht des obengenannten Walther von Meisenburg,* * 11
einem Bruder des Predigerordens, weiß, geschah es, dass eines Abends ein
gewisser großer Propst die Stadt Magdeburg betrat, um sich geradezu bis
zum morgigen Tag zurückzuziehen. Und siehe, beim ersten Schlaf wurde er
von plötzlicher Krankheit ergriffen, und ließ mit Eile den Prior der 15
Predigerbrüder kommen. Als der Prior nun also eintraf, bat ihn der Propst
eindringlich unter Tränen, er möge ihn in den Orden aufnehmen und bald
mit dem Ordensgewand bekleiden. Zu ihm sagte der Prior: „Dies wird erst
morgen geschehen, weil dafür die Zustimmung der Brüder erforderlich ist.“
Und der Propst sagte: „Ich weiß, ich weiß, was ich fühle und ich werde 20
kaum noch einen Morgen haben. Wenn euch mein Seelenheil etwas wert ist,
beeilt euch, den Büßer aufzunehmen, denn ich bin sicher, dass ich in dieser
Welt nicht erlöst werde.“ Da also der Prior das Drängen des Mannes sah,
ging er zum Haus, weckte den Konvent, verlangte einen Beschluss und
berief sich auf die Brauchbarkeit des Mannes für den Orden, wenn er 25
überleben werde.12 Der Konvent stimmte bald zu, man brachte den Kranken
in das Ordenshaus, der Aufgenommene wurde eingekleidet, empfing das
Abendmahl, wurde gesalbt und schied vor Anbruch des nächsten Tages aus
dem Leben.
11 Walther von Meisenburg OP, Prior des Trierer Dominikanerkonvents und Berater der
Yolanda von Vianden (ca. 1231-1283). S. für weitere Informationen Thom. Cantimpr. BUA
II, 10,17. | nDer Dominikanerkonvent von Magdeburg entstand bereits um 1224 und war damit
einer der ältesten Konvente in Deutschland. 1225 wurde mit dem Bau des Klosters St. Pauli in
der Altstadt begonnen. S. dazu PÄTZOLD, Magdeburg, S. 338.
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[8] Und weil es ja viele gibt, die sich im Tod zur Religion flüchten, wollten
sehr viele bezweifeln, was ein in letzter Notwendigkeit empfangenes
Ordensgewand für diese zu tun vermag. Dafür werde ich ein
unzweifelhaftes und äußerst angemessenes Beispiel berichten. Einige
Unfromme unter den Religiösen pflegen den Büßern am Ende ihres Lebens 5
das Gewand zu verweigern, als seien in dem Augenblick diejenigen der
Aufnahme unwürdig, die keinesfalls eintreten wollten, als sie noch gesund
und kräftig waren. Christus hat am Kreuz nach der Vorschrift jeglichen
Rechts einen spät Bereuenden, einen Banditen, als Begleiter an die Pforten
des Paradieses geführt. 10
Wie ich aus dem Bericht des obengenannten Walther von Meisenburg,* * 11
einem Bruder des Predigerordens, weiß, geschah es, dass eines Abends ein
gewisser großer Propst die Stadt Magdeburg betrat, um sich geradezu bis
zum morgigen Tag zurückzuziehen. Und siehe, beim ersten Schlaf wurde er
von plötzlicher Krankheit ergriffen, und ließ mit Eile den Prior der 15
Predigerbrüder kommen. Als der Prior nun also eintraf, bat ihn der Propst
eindringlich unter Tränen, er möge ihn in den Orden aufnehmen und bald
mit dem Ordensgewand bekleiden. Zu ihm sagte der Prior: „Dies wird erst
morgen geschehen, weil dafür die Zustimmung der Brüder erforderlich ist.“
Und der Propst sagte: „Ich weiß, ich weiß, was ich fühle und ich werde 20
kaum noch einen Morgen haben. Wenn euch mein Seelenheil etwas wert ist,
beeilt euch, den Büßer aufzunehmen, denn ich bin sicher, dass ich in dieser
Welt nicht erlöst werde.“ Da also der Prior das Drängen des Mannes sah,
ging er zum Haus, weckte den Konvent, verlangte einen Beschluss und
berief sich auf die Brauchbarkeit des Mannes für den Orden, wenn er 25
überleben werde.12 Der Konvent stimmte bald zu, man brachte den Kranken
in das Ordenshaus, der Aufgenommene wurde eingekleidet, empfing das
Abendmahl, wurde gesalbt und schied vor Anbruch des nächsten Tages aus
dem Leben.
11 Walther von Meisenburg OP, Prior des Trierer Dominikanerkonvents und Berater der
Yolanda von Vianden (ca. 1231-1283). S. für weitere Informationen Thom. Cantimpr. BUA
II, 10,17. | nDer Dominikanerkonvent von Magdeburg entstand bereits um 1224 und war damit
einer der ältesten Konvente in Deutschland. 1225 wurde mit dem Bau des Klosters St. Pauli in
der Altstadt begonnen. S. dazu PÄTZOLD, Magdeburg, S. 338.