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Thomas; Burkhardt, Julia [Editor]
Von Bienen lernen: das "Bonum universale de apibus" des Thomas von Cantimpré als Gemeinschaftsentwurf : Analyse, Edition, Übersetzung, Kommentar (Teilband 2): Analyse, Edition, Übersetzung und Kommentar — Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.53742#0956
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BUA 11,53

951

[25] Über diesen Teil der Hilfen lesen wir in den Taten des heiligen und
großen Königs Karl,33 was ich nun anfuge.34 Demselben König hatte ein
gewisser Ritter für viele Jahre wacker im Krieg gedient. Dieser rief, als er
an sein Lebensende gelangt war, seinen Vetter zu sich, der als einziger noch
am Leben war, und sagte: „Ich habe schon sechzig Jahre im Gefolge des 5
Königs verbracht und ich besitze kein Eigentum auf der Welt, das nicht mit
dem Kriegsdienst zusammenhängt. Und siehe da, ich besitze bloß das beste
Pferd und aus diesem Besitz stelle ich mein Testament auf. Wenn ich also
gestorben bin, verkaufe das Pferd und gib das Geld in Gänze für meine
Seele aus.“ Der Gefolgsmann gelobte zu tun, was ihm der Onkel 10
aufgetragen hatte. Als der Ritter aber gestorben war, sah sein Gefolgsmann
das kräftige und kühne Pferd; und weder verkaufte er es noch zahlte er Geld
dafür, sondern er behielt es, ohne die Anordnung seines Onkels zu beachten.
Als er aber ungefähr ein halbes Jahr so zugebracht hatte, erschien dem
Gefolgsmann die Seele des Verstorbenen deutlich und sagte: „Du hast nicht 15
das getan, was ich zur Erlösung meiner Seele angeordnet hatte; ich aber
habe in der Zwischenzeit, in der ich durch die Almosen hätte erlöst werden
sollen, schwere Strafen erlitten. Aber siehe, nun hat der allmächtige Richter
aller Werke ein Urteil abgegeben und alle seine Engel, die ihm helfen,
haben beschlossen, dass es gerecht ist, dass meine Seele zur Ruhe übergeht 20
und deine Seele die Strafen übernimmt, die ich noch in Qualen hätte
vollenden müssen.“ Nachdem er dies gesagt hatte, verschwand er plötzlich
und der Gefolgsmann fiel bald einer sehr schweren Krankheit anheim,
beichtete die Dinge, die geschehen waren, einem Priester und leistete, bald
nachdem er gestorben war, die Strafen ab, die er verdient hatte. Siehe also, 25
Leser, welch große Sünde und welch ein Verbrechen es ist, die Testamente
der Freunde oder Eltern zu verzögern oder gering zu schätzen, durch die
diese, wenn sie in Kraft treten, schneller zum Ruhm gelangen, oder, wenn
sie nicht in Kraft treten, vom Ruhm abgeschnitten werden.

33 Karl „der Große" (um 747-814), seit 800 erster Kaiser des Mittelalters. S. für weitere
Informationen Thom. Cantimpr. BUA 11,49,3. | 33/n den von Notker„ dem Stammler" verfassten
Gestafindet sich in Kapitel 31 eine Episode, deren Ausgang inhaltlich zur folgenden Geschichte
passt: Darin missachtet der Hofmeister Liutfrid eine Anweisung des Königs, Bauarbeiter
aufzunehmen und zu versorgen und behält das hierfür notwendige Geld stattdessen selbst ein.
Die Vision eines armen Mannes offenbart daraufhin das Schicksal Liutfrids: das Erdulden von
Höllenstrafen. S. Notkeri Balbvli Gesta Karoli, cap. 31, S. 42-44. S. auch PLATELLE, Les
exemples, S. 309.
 
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