5
10
15
20
25
30
BUA 11,54
983
deshalb || zwei Predigerbrüder und || zwei Minderbrüder17 zu ihm, durch die er
ihm eine Kapelle aus Leinen nach Art eines Zelts sandte sowie alle seine
goldenen Utensilien, denen die für einen Altar notwendigen Dinge beigefugt
waren, zusammen mit anderen wertvollen Geschenken; nach der Reise
durch viele Länder und Meere gelangten sie zu jenem und wurden von ihm 5
feierlich empfangen. Sie verweilten aber eine lange Zeit bei ihm, jedoch
machten sie bei der Bekehrung des Königs überhaupt keine Fortschritte.
Sie sahen aber dort im Heer einen edlen Mann, offenbar einen Vetter des
Königs, über den man folgende Dinge erzählte. Als derselbe Adelige
nämlich, der noch heidnisch war, an einem höchst gefahrvollen Fieber litt, 10
stieg ihm Eiter ins Gehirn und er wurde in einen solchen Wahnsinn versetzt,
dass er vor allen, die um ihn herum schliefen, nackt davonlief und an drei
Tagen und drei Nächten durch die einsamste Wüste irrte. In der dritten
Nacht aber erreichte die Verteilung des Eiters eine entscheidende Wendung
und er kehrte zu sich zurück, in den Besitz seines Geistes. Da er sich in der 15
Dunkelheit vor der Einsamkeit fürchtete, wusste er nicht, was er tun oder
wohin er sich wenden sollte. Und siehe, nach einem kleinen Augenblick sah
er, als die Dunkelheit wich, in den Bergen auf dem Gipfel ein gewaltiges
Licht. Er kroch also auf Händen und Füßen voran und stieg so auf den Berg
und siehe, über dem großen Lichtschein der Sonne sah er einen 20
wunderbaren König auf einem goldenen Thron sitzen und zu seiner Rechten
eine Königin, die in unvergleichlichem Liebreiz erstrahlte; er sah ältere und
jüngere Männer gemischt bei den goldenen Thronen stehen und Diener, die
aus jedem Teil ihrer Gesichter strahlend rötlich schimmerten. Als dies der
Heide sah, geriet er in Erstaunen darüber, was er glauben könne. Wenig 25
später bekleidete einer von den Dienern, der vom König geschickt worden
war, den Nackten mit Gewändern und führte ihn zum König. Zu ihm sagte
der König: „Hast Du bislang noch nichts Ähnliches in der menschlichen
Welt gesehen?“ Und jener sagte: „Nichts, Herr.“ Und der König sagte zu
ihm: „Ich bin der Gott, König und ewige Herr der Christen. Du aber wirst zu 30
^Zeitlich lässt sich die folgende Episode nicht ganz eindeutig verorten: 1248/49 entsandte
Ludwig IX. den Dominikaner Andreas von Longjumeau OP (gest. nach 1270) als Boten zu
Güyük, dem Großkhan der Mongolen. Bereits einige Jahre zuvor waren Andreas wie auch die
Franziskaner Johannes de Plano Carpini OFM (ca. 1182-ca. 1252) und Wilhelm von Rubruk
OFM (ca. 1215 20-ca. 1270) im Auftrag Papst Innozenz' IV. (Sinibaldo Fieschi, um 1195-1254,
Papst seit 1243) zu Verhandlungen in das Mongolenreich gereist. Ein Versuch der Bekehrung,
wie er in dieser Geschichte beschrieben wird, erfolgte offenbar um 1253, als Wilhelm von
Rubruk erneut, diesmal im Auftrag Ludwigs IX., zu den Mongolen reiste und von
Konversionswünschen des Großkhans Möngke berichtete. S. hierzu Le GOFF, Ludwig der
Heilige, S. 34-36 sowie SCHMIEDER, Europa und die Fremden, S. 73-197.
10
15
20
25
30
BUA 11,54
983
deshalb || zwei Predigerbrüder und || zwei Minderbrüder17 zu ihm, durch die er
ihm eine Kapelle aus Leinen nach Art eines Zelts sandte sowie alle seine
goldenen Utensilien, denen die für einen Altar notwendigen Dinge beigefugt
waren, zusammen mit anderen wertvollen Geschenken; nach der Reise
durch viele Länder und Meere gelangten sie zu jenem und wurden von ihm 5
feierlich empfangen. Sie verweilten aber eine lange Zeit bei ihm, jedoch
machten sie bei der Bekehrung des Königs überhaupt keine Fortschritte.
Sie sahen aber dort im Heer einen edlen Mann, offenbar einen Vetter des
Königs, über den man folgende Dinge erzählte. Als derselbe Adelige
nämlich, der noch heidnisch war, an einem höchst gefahrvollen Fieber litt, 10
stieg ihm Eiter ins Gehirn und er wurde in einen solchen Wahnsinn versetzt,
dass er vor allen, die um ihn herum schliefen, nackt davonlief und an drei
Tagen und drei Nächten durch die einsamste Wüste irrte. In der dritten
Nacht aber erreichte die Verteilung des Eiters eine entscheidende Wendung
und er kehrte zu sich zurück, in den Besitz seines Geistes. Da er sich in der 15
Dunkelheit vor der Einsamkeit fürchtete, wusste er nicht, was er tun oder
wohin er sich wenden sollte. Und siehe, nach einem kleinen Augenblick sah
er, als die Dunkelheit wich, in den Bergen auf dem Gipfel ein gewaltiges
Licht. Er kroch also auf Händen und Füßen voran und stieg so auf den Berg
und siehe, über dem großen Lichtschein der Sonne sah er einen 20
wunderbaren König auf einem goldenen Thron sitzen und zu seiner Rechten
eine Königin, die in unvergleichlichem Liebreiz erstrahlte; er sah ältere und
jüngere Männer gemischt bei den goldenen Thronen stehen und Diener, die
aus jedem Teil ihrer Gesichter strahlend rötlich schimmerten. Als dies der
Heide sah, geriet er in Erstaunen darüber, was er glauben könne. Wenig 25
später bekleidete einer von den Dienern, der vom König geschickt worden
war, den Nackten mit Gewändern und führte ihn zum König. Zu ihm sagte
der König: „Hast Du bislang noch nichts Ähnliches in der menschlichen
Welt gesehen?“ Und jener sagte: „Nichts, Herr.“ Und der König sagte zu
ihm: „Ich bin der Gott, König und ewige Herr der Christen. Du aber wirst zu 30
^Zeitlich lässt sich die folgende Episode nicht ganz eindeutig verorten: 1248/49 entsandte
Ludwig IX. den Dominikaner Andreas von Longjumeau OP (gest. nach 1270) als Boten zu
Güyük, dem Großkhan der Mongolen. Bereits einige Jahre zuvor waren Andreas wie auch die
Franziskaner Johannes de Plano Carpini OFM (ca. 1182-ca. 1252) und Wilhelm von Rubruk
OFM (ca. 1215 20-ca. 1270) im Auftrag Papst Innozenz' IV. (Sinibaldo Fieschi, um 1195-1254,
Papst seit 1243) zu Verhandlungen in das Mongolenreich gereist. Ein Versuch der Bekehrung,
wie er in dieser Geschichte beschrieben wird, erfolgte offenbar um 1253, als Wilhelm von
Rubruk erneut, diesmal im Auftrag Ludwigs IX., zu den Mongolen reiste und von
Konversionswünschen des Großkhans Möngke berichtete. S. hierzu Le GOFF, Ludwig der
Heilige, S. 34-36 sowie SCHMIEDER, Europa und die Fremden, S. 73-197.