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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Dörner, Gerald [Bearb.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (20. Band = Elsass, 1. Teilband): Straßburg — Tübingen: Mohr Siebeck, 2011

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https://doi.org/10.11588/diglit.30661#0057
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Einleitung

Die große Masse der Toten während der Pestwellen im 14. und 15. Jh. und der begrenzte Platz innerhalb
der Städte machte dann aber die Anlage von Friedhöfen außerhalb der Mauern wieder notwendig. Hinzu
kamen auch hygienische Überlegungen (Verschmutzung des Brunnenwassers), die für eine Verlagerung der
Friedhöfe sprachen141. In der Regel errichtete man auf den neuen Begräbnisstätten Kapellen, wenn die
Friedhöfe nicht schon bewußt in der Nähe solcher Kapellen angelegt worden waren. In Straßburg entstand
bereits während des 14. Jh. ein erster Friedhof außerhalb der Stadt.
Im Jahr 1524 erwarb die Stadt Straßburg die Stiftung St. Gallen mit ihrer Kapelle und machte sie zum
Friedhof. Die bereits bestehende Begräbnisstätte auf dem Urbansbau (Korbaw) in der Nähe des Klosters St.
Urban wurde vergrößert. Ebenso wurde der seit 1360 als Gottesacker dienende Helenenhof 1527 durch
Grundbesitz des Gutleutehauses erweitert. Die drei Friedhöfe wurden eingezäunt und mit Toren verse-
hen142. Damit besaß Straßburg Begräbnisplätze an den Ausfallstraßen im Westen, Osten und Norden. Am
9. Februar 1527 beschlossen die Schöffen, daß Begräbnisse nurmehr auf diesen drei Friedhöfen stattfinden
dürften, nicht aber mehr in den Kirchen der Stadt bzw. auf den sie umgebenden Kirchhöfen. Die Tragweite
der Veränderung zeigt sich schon allein darin, daß die Entscheidung nicht vom Rat und den XXI, sondern
von der Versammlung der Schöffen gefällt wurde. Ein entsprechendes Ratsmandat wurde am 8. August
ausgefertigt, als die Arbeiten an den Friedhöfen beendet waren143.
Mögen auch sachliche Gründe mitgespielt haben oder leitend gewesen sein, so erhält die Entscheidung
der Schöffen durch den einleitenden Satz des Mandats doch eine wichtige theologische Komponente: Für
das Seelenheil der Verstorbenen ist der Platz der Bestattung ohne Belang. Daher kann die Begräbnisstätte
auch von den Kirchen weg verlegt werden. Mit der Verwerfung der Heiligen als Fürbitter und Mittler und
mit der Aufgabe der Reliquienverehrung durch die Reformation verliert der Altar mit den Reliquien der
Heiligen seine Bedeutung als „Ordnungsmitte der Gräberstätten“144.
Anscheinend begannen die städtischen Werkleute kurz nach dem Erlaß des Mandats damit, die Grab-
steine von den um die Kirchen liegenden Friedhöfen abzuräumen, um sie für die Stadtbefestigung zu
verwenden. Dies führte jedoch zu Protesten durch die Angehörigen der Verstorbenen. Der Magistrat
beschloß daraufhin, die Werkleute sollten die Grabsteine nurmehr mit der Erlaubnis der Angehörigen besei-
tigen dürfen145. Aus dem Münster wurden 1534 die Grabsteine herausgerissen und der Boden mit neuen
Platten belegt146.
In der Folge sorgte der Magistrat dann selbst für eine Aufweichung seines Mandats vom 8. August 1527,
indem er verdienten Geistlichen und Bürgern oder angesehenen Fremden die Einrichtung von Grabstätten
in den Kirchen gestattete. Darüber hinaus versuchten Adelige und Patrizier auch an ihren alten Gewohn-
heiten festzuhalten147.
8. Der erste Straßburger Katechismus: Wolfgang Capitos „Kinder bericht“, 1527 (Text S. 170)
1526 wurde in Straßburg ein kirchlicher Unterricht für Kinder eingerichtet, zunächst in den Gemeinden St.
Aurelien, Jung St. Peter und Alt St. Peter, später dann auch in den anderen Pfarreien der Stadt. Die
Initiative für die Eröffnung des „Kinderbericht“, wie der kirchliche Unterricht in Straßburg hieß, scheint
von Martin Bucer ausgegangen zu sein, der ihn als Teil seines Programms der Schulreform ansah148. Als
Grundlage für den kirchlichen Unterricht verfaßte der Pfarrer von Jung St. Peter Wolfgang Capito ein Jahr

140 Vgl. Lex. d. MA. 1, Sp. 1804-1808; TRE 11, S. 647-649;
HRG2 1, Sp. 498-500 und 1824-1826.
141 Vgl. Petrazoller, Urbanisme, S. 193.
142 Vgl. Crämer, Verfassung, S. 182f.; Petrazoller,
Urbanisme, S. 194.
143 Siehe Specklin, Collectanées, Nr. 2281.

144 TRE 11, S. 650.
145 Vgl. Brant, Annalen, Nr. 4711.
146 Vgl. Saladin, Chronik, S. 334.
147 Vgl. Crämer, Verfassung, S. 183.
148 Vgl. Bucer, Deutsche Schriften 2, S. 390f.

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