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BUA 11,10
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11 Die wütende Pest Missgunst: Sie zernagt sich selbst, bevor sie wie ein wildes Tier
einen Anderen anfällt; und wenn die Unersättliche an sich noch nicht gesättigt ist,
geht sie zu den Übrigen über, die sie mit blindem Eifer verfolgt; und andere Dinge
haben gewiss irgendeinen Vorzug, aber die Missgunst, die Herz und Körper mit
wundersamer Schnelligkeit dahinrafft, bringt überhaupt keinen. Was an diesen 5
Prämissen ist wesentlicher als dies? Die Antreiber der ursprünglichen Liederlichkeit,
die einfachen Scholaren der Universität, vereinigten sich wie ein Körper mit
wundersamer Verschlagenheit, um unter vielen Tausend Büchern die ihnen
Gefälligen zu verzehren, um sich so gegen die genannten Orden grausamer
auszutoben; und sie haben das, was sie von sich aus nicht konnten, aufgrund von 10
Geldmangel, bei der Leerung der Börsen der jugendlichen Unschuld in großen
Mengen erhalten. 11
[32] In jener Zeit, als der ehrwürdige Philipp, Prior der Prediger, vom edlen
König der Römer, Wilhelm,49 zu Graf Alfons von Poitiers, dem Bruder des
Königs Ludwig und Statthalter von Frankreich,50 zu Verhandlungen über 15
einen Reichsfrieden geschickt worden war,51 haben wir vom Herrn Albert
nachdem er zum Legaten des Apostolischen Stuhls in Frankreich bestimmt
worden war,52 gehört, dass die genannten Magister von der Seite der
Universität und die Predigerbrüder, die damals allein höchst unschuldig
gequält wurden, mit dazu verfassten Schriften bei ihm endgültig 20
^Wilhelm II. (1228-1256), Graf von Holland seit 1234, römisch-deutscher (Gegen-)König seit
1247. S. für weitere Informationen Thom. Cantimpr. BUA 11,2,4. | 50Alfons von Poitiers (1220-
1271), Graf von Toulouse, s. Anm. 29. Der Hinweis auf Alfons' Statthalterposition erlaubt eine
zeitliche Verortung der Episode: sein Bruder Ludwig IX. (s. Anm. 28) hielt sich zwischen 1248
und 1254 im Rahmen seines Kreuzzuges im Heiligen Land auf, der Bettelordensstreit brach
1253 aus. | -Hi)ie Darstellung Thomas' lässt sich mit den historischen Ereignissen der Jahre
1253/54 nicht in Einklang bringen: Wilhelm von Holland setzte sich in diesen Jahren in seiner
Funktion als Graf von Holland diplomatisch und militärisch mit Margarete, Gräfin von
Flandern und Hennegau, um deren flandrisches Erbe auseinander. Im Mittelpunkt stand die
Frage, ob Flandern Margaretes Söhnen aus der Linie der Avesnes oder der Linie der Dampierre
zufallen sollte. Da ein Teil dieses Erbes zum Königreich Frankreich gehörte, beanspruchte auch
der französische König ein Mitspracherecht. Nach einem ersten Schiedsspruch Ludwigs IX.
(1246) schaltete sich während dessen Abwesenheit zur Zeit des Kreuzzugs Ludwigs jüngerer
Bruder Karl von Anjou (1226-1285, ab 1266 König von Sizilien) auf der Seite Margaretes in den
Konflikt ein, unterlag jedoch im Sommer 1253 in der Schlacht von Westkapelle Westkappeln.
Offenbar brachte Thomas von Cantimpre diese Zusammenhänge durcheinander: weder sind
Verhandlungen über einen Reichsfrieden belegt, noch ein Engagement Alfons' von Poitiers:
auch ein Predigerbruder namens Philipp lässt sich nicht identifizieren. S. hierzu KAUFHOLD,
Deutsches Interregnum, S. 59-66 sowie Le GOFF, Ludwig der Heilige, S. 220-222: s. außerdem
Thom. Cantimpr. BUA 11,2,4. | ^Offenbar handelt es sich hier um den Notar Albert von Parma
(gest. um 1270), der zunächst als Nuntius und seit 1253 als Legat Papst Innozenz ’ IV. (Sinibaldo
Fieschi, um 1195-1254: Papst seit 1243) wirkte und u.a. in England in der Auseinandersetzung
um Ansprüche auf das Königreich Sizilien vermittelte. S. zu ihm bzw. zur Problematik der
Unterscheidung der in den Quellen belegten Personen mit dem Namen Albertus de Parma
REINKE, Kurie — Kammer — Kollektoren, S. 10-11 sowie NÜSKE, Untersuchungen I, S. 84-86.
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einen Anderen anfällt; und wenn die Unersättliche an sich noch nicht gesättigt ist,
geht sie zu den Übrigen über, die sie mit blindem Eifer verfolgt; und andere Dinge
haben gewiss irgendeinen Vorzug, aber die Missgunst, die Herz und Körper mit
wundersamer Schnelligkeit dahinrafft, bringt überhaupt keinen. Was an diesen 5
Prämissen ist wesentlicher als dies? Die Antreiber der ursprünglichen Liederlichkeit,
die einfachen Scholaren der Universität, vereinigten sich wie ein Körper mit
wundersamer Verschlagenheit, um unter vielen Tausend Büchern die ihnen
Gefälligen zu verzehren, um sich so gegen die genannten Orden grausamer
auszutoben; und sie haben das, was sie von sich aus nicht konnten, aufgrund von 10
Geldmangel, bei der Leerung der Börsen der jugendlichen Unschuld in großen
Mengen erhalten. 11
[32] In jener Zeit, als der ehrwürdige Philipp, Prior der Prediger, vom edlen
König der Römer, Wilhelm,49 zu Graf Alfons von Poitiers, dem Bruder des
Königs Ludwig und Statthalter von Frankreich,50 zu Verhandlungen über 15
einen Reichsfrieden geschickt worden war,51 haben wir vom Herrn Albert
nachdem er zum Legaten des Apostolischen Stuhls in Frankreich bestimmt
worden war,52 gehört, dass die genannten Magister von der Seite der
Universität und die Predigerbrüder, die damals allein höchst unschuldig
gequält wurden, mit dazu verfassten Schriften bei ihm endgültig 20
^Wilhelm II. (1228-1256), Graf von Holland seit 1234, römisch-deutscher (Gegen-)König seit
1247. S. für weitere Informationen Thom. Cantimpr. BUA 11,2,4. | 50Alfons von Poitiers (1220-
1271), Graf von Toulouse, s. Anm. 29. Der Hinweis auf Alfons' Statthalterposition erlaubt eine
zeitliche Verortung der Episode: sein Bruder Ludwig IX. (s. Anm. 28) hielt sich zwischen 1248
und 1254 im Rahmen seines Kreuzzuges im Heiligen Land auf, der Bettelordensstreit brach
1253 aus. | -Hi)ie Darstellung Thomas' lässt sich mit den historischen Ereignissen der Jahre
1253/54 nicht in Einklang bringen: Wilhelm von Holland setzte sich in diesen Jahren in seiner
Funktion als Graf von Holland diplomatisch und militärisch mit Margarete, Gräfin von
Flandern und Hennegau, um deren flandrisches Erbe auseinander. Im Mittelpunkt stand die
Frage, ob Flandern Margaretes Söhnen aus der Linie der Avesnes oder der Linie der Dampierre
zufallen sollte. Da ein Teil dieses Erbes zum Königreich Frankreich gehörte, beanspruchte auch
der französische König ein Mitspracherecht. Nach einem ersten Schiedsspruch Ludwigs IX.
(1246) schaltete sich während dessen Abwesenheit zur Zeit des Kreuzzugs Ludwigs jüngerer
Bruder Karl von Anjou (1226-1285, ab 1266 König von Sizilien) auf der Seite Margaretes in den
Konflikt ein, unterlag jedoch im Sommer 1253 in der Schlacht von Westkapelle Westkappeln.
Offenbar brachte Thomas von Cantimpre diese Zusammenhänge durcheinander: weder sind
Verhandlungen über einen Reichsfrieden belegt, noch ein Engagement Alfons' von Poitiers:
auch ein Predigerbruder namens Philipp lässt sich nicht identifizieren. S. hierzu KAUFHOLD,
Deutsches Interregnum, S. 59-66 sowie Le GOFF, Ludwig der Heilige, S. 220-222: s. außerdem
Thom. Cantimpr. BUA 11,2,4. | ^Offenbar handelt es sich hier um den Notar Albert von Parma
(gest. um 1270), der zunächst als Nuntius und seit 1253 als Legat Papst Innozenz ’ IV. (Sinibaldo
Fieschi, um 1195-1254: Papst seit 1243) wirkte und u.a. in England in der Auseinandersetzung
um Ansprüche auf das Königreich Sizilien vermittelte. S. zu ihm bzw. zur Problematik der
Unterscheidung der in den Quellen belegten Personen mit dem Namen Albertus de Parma
REINKE, Kurie — Kammer — Kollektoren, S. 10-11 sowie NÜSKE, Untersuchungen I, S. 84-86.