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Thomas; Burkhardt, Julia [Hrsg.]
Von Bienen lernen: das "Bonum universale de apibus" des Thomas von Cantimpré als Gemeinschaftsentwurf : Analyse, Edition, Übersetzung, Kommentar (Teilband 2): Analyse, Edition, Übersetzung und Kommentar — Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.53742#0924
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BUA 11,53

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man ein kleines Gebetshaus, in dem sich ein Altar aus strahlend weißem
Alabaster befand, und in der rechten Seite ein Grab. Über dem Grab im
Seitenteil aber war folgender Schriftzug zu lesen: „Wir bitten darum,
heiliger Theodulf,5 erbarme dich unser.“ Zusammen mit einigen dort
versammelten Bürgern waren Predigerbrüder herbeigerufen worden, und 5
auch ich kam zufällig zu dem Grab. Nachdem also der Grabstein aus dem
Weg geräumt worden war, fanden wir seinen Leib unversehrt, mit
angemessener Kleidung und mit Händen, die zur Bedeckung der
Geheimnisse der Natur über die Scham nach unten gelegt waren. Mit der
Erlaubnis der Bürger aber habe ich ihm die rechte Hand, die er zu Lebzeiten 10
zur Messe für den Leib Christi ausgestreckt hatte, bald abgeschnitten und
den Predigerbrüdem in Löwen übergeben.6 Die Überreste seiner Haare und
Nägel fand ich in dem ältesten Kloster der bereits genannten Stadt, welches
man „Getreidespeicher“ nannte,7 mit der alten Überschrift und mit anderen
Heiligenreliquien. 15
Über diesen äußerst heiligen Mann und seinen Bruder, den heiligen
Hieoderich, der in einem anderen Teil des oben genannten Gebäudes
verbrannt worden war, erzählt man sich eine sehr alte Sage: Beide seien
Söhne der Schwester eines gewissen römischen Kaisers gewesen; von ihnen
sei der heilige Theodulf, zu diesem Zeitpunkt noch ein Knabe, auf Befehl 20
seines Onkels mit der Tochter des Königs von England verlobt worden. Als
er erwachsen geworden war, wollte er in der Hoffnung auf ein besseres
Leben seine Verlobte nicht zur Frau nehmen, sondern auf ewig
unverheiratet bleiben, woraufhin der Kaiser jenen aus Unmut über diese
Entscheidung aus seiner Heimat verbannte. Er kam dann nach Trier, legte 25
das Mönchsgewand an und zog sich, wie in die engste Höhle, an den Ort,
den wir genannt haben,8 zurück. Es befand sich aber auch sein steinernes
Bett mit einem steinernen Kissen neben dem Gebetshaus, von dem ich

-Hl Theodulf (lebte im 6. Jh.), Priester und Einsiedler in Trier Theodulf wurde angeblich in
Britannien geboren und soll von einem römischen Kaiser abgestammt haben. Nach
Wanderungen, die ihn letztlich nach Trier führten, habe er sich in den Ruinen des
konstantinischen Kaiserpalasts als Einsiedler niedergelassen. S. hierzu SAUSER, Art. „Hl.
Theodulf" sowie die folgende Episode. | bDominikanerkonvent in Löwen, gegründet um 1228
mit der Förderung durch Heinrich I. (1165-1235), Herzog von Brabant seit 1190. S. zur
Geschichte des Konvents COOMANS, Architectural Competition. Seit ca. 1230 gehörte Thomas
von Cantimpre dem Konvent an, s. hierzu die Ausführungen in Kap. 1.2. der Einleitung zur
Edition. | 7Frauenkloster St. Irminen zur (Deren in Trier, gegründet im 7. Jahrhundert. Die
Bezeichnung „oeren“ von lat. horreum leitete sich von der baulichen Nähe zu antiken
Getreidespeichern ab. S. hierzu KÖNIG, Art. ,, Trier-Oeren “ sowie WERNER, Zu den Anfängen.
fVohnpalast aus konstantinischer Zeit bzw. darauf errichtete Kirche mit Gebetshaus, s. Anm. 4.
 
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