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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Dörner, Gerald [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (20. Band = Elsass, 1. Teilband): Straßburg — Tübingen: Mohr Siebeck, 2011

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https://doi.org/10.11588/diglit.30661#0040
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Straßburg

vergrößerten sie die Zahl der Bettler und der vom städtischen Almosen lebenden Personen21. Schon im
15. Jh. suchte der Magistrat deshalb den Zuzug zu steuern. Eine der ersten Ordnungen der Reformations-
zeit, die Armenordnung von 1523 (Nr. 1), nahm die Schultheißenbürger von der Verteilung der Almosen
aus, um zu verhindern, daß sich die Zuziehenden - wie es hieß - auf das Almosen verburgerten.
Mit Adeligen und Ausländern schloß der Magistrat vielfach Schirmverträge ab, die diesen gegen ein
„Schirmgeld“ den Schutz der Stadt zusicherte, sie aber von den Pflichten der Bürger entlastete. Auch mit
den Straßburger Stiften und Klöstern als Korporationen bestanden solche Schirmverträge. Nach dem
Beginn der Reformation kündigte die Stadt 1523 den geistlichen Korporationen jedoch den Schirm auf.
1549 kam es infolge des Interims zu einer kurzfristigen Erneuerung der Schirmverträge mit dem Domstift
und den Stiften Jung und Alt St. Peter. Nach dem Ablaufen der Verträge 1559 war der Magistrat zu ihrer
Verlängerung aber nicht mehr bereit (s. die Einleitung zu Nr. 37 und Nr. 42)22.
Jeder Bürger und Schultheißenbürger mußte sich einer der insgesamt 20 Zünfte der Stadt anschließen.
Im Laufe des 15. Jh. war deren Zahl von 28 auf 20 reduziert worden23. Nurmehr Gewerbe mit sehr vielen
Vertretern (Bäcker, Schneider, Fischer) bildeten noch eine eigene Zunft. Die meisten anderen Zünfte waren
hingegen Vereinigungen mehrerer Handwerke. Dadurch wandelten sich die Zünfte von gewerblichen zu eher
administrativen Vereinigungen. Im 16. Jh. gehörten dann selbst die Geistlichen sowie die Lehrer und Pro-
fessoren des Gymnasiums einer der Zünfte an. Die Zunftstuben spielten im politischen Leben der Stadt eine
wichtige Rolle. Der Magistrat ließ hier seine Mandate abkündigen. Grundlegende Gesetze, wie die Diszi-
plinarordnung von 1535 (Nr. 19a), wurden sogar jedes Jahr wieder auf den Zunftstuben verlesen. An der
Spitze der Zunft stand der auf Lebenszeit gewählte Oberherr. Daneben besaß jede Zunft einen Zunftmei-
ster, der jährlich neu gewählt wurde und dem der Vorsitz im Zunftgericht zufiel. Als eine Art Leitungs-
gremium stand den beiden ein Ausschuß von 15 auf Lebenszeit gewählten Schöffen zur Seite24.
Die Zahl der Adeligen war in Straßburg im Laufe des 15. Jh. stark zurückgegangen. Von den ursprüng-
lich acht Stuben des Adels waren nurmehr zwei, die Stuben „Zum Hohensteg“ und „Zum Mühlstein“,
übriggeblieben25. Trotz der Aufnahme wohlhabender bürgerlicher Familien - Bedingung für die Aufnahme
war, daß die Kandidaten keinem Gewerbe nachgingen und keinen Handel trieben - hatten die Konstofler,
wie die gebräuchliche Bezeichnung lautete, im 16. Jh. vielfach Schwierigkeiten, das ihnen zustehende Drit-
tel der politischen Ämter mit eigenen Vertretern zu besetzen. Aus der Not heraus rückten dann weniger
befähigte Mitglieder des Patriziats oder Bürgerliche auf diese Stellen26.
Die gültige Verfassung der Stadt Straßburg bildete der Schwörbrief von 1482, der bis zur Französischen
Revolution in Kraft blieb. Jeweils im Januar wurde er vor dem Münster von der versammelten Bürger-
schaft beschworen. Dem sogenannten „Schwörtag“, einem Dienstag, voraus ging am ersten Donnerstag des
Jahres die Wahl des neuen Rates. Nach dem Schwörtag fand im Münster die „Ratspredigt“ vor dem
Magistrat und den Schöffen statt. Diese Predigt wurde von den Geistlichen des öfteren zu einer Abrech-
nung mit der städtischen Führung genutzt27.
Die oberste Instanz der Reichsstadt bildete formell die Versammlung der 300 Schöffen (20 Zünfte zu je
15 Schöffen). Die Schöffen (schöffel) waren jedoch vom Magistrat abhängig, der über ihre Einberufung und
die von ihnen zu beratenden Fragen entschied. Durch die Art der Vorlage konnte der Magistrat den Prozeß
der Willensbildung beeinflussen. In der Regel wurden die Schöffen bei Fragen von weitreichender politi-
scher Bedeutung für die Stadt einberufen (Krieg, Bündnisse etc.)28. In der Reformationszeit wurden ihnen

21 Vgl. Crämer, Verfassung, S. 30f.; Dollinger, Ville
libre, S. 105f.
22 Vgl. Adam, Kirchengeschichte Straßburg, S. 292-295.
23 Siehe die Liste der Zünfte in Dollinger, Ville libre
S. 138.
24 Vgl. Alioth, Gruppen, S. 251-490; Dollinger, Ville
libre, S. 134-137; Brady, Ruling Class, S. 95-122.

25 Siehe die Auflistung der Stuben in Alioth, Gruppen,
S.551-555.
26 Vgl. Alioth, Gruppen, S. 166-250; Dollinger, Ville
libre, S. 131-133; Brady, Ruling Class, S. 53-94.
27 Vgl. Crämer, Verfassung, S. 34.
28 Vgl. Winckelmann, Verfassung, S. 520-522; Crämer,
Verfassung, S. 27f.; Dollinger, Ville libre, S. 112f.

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