Evangelische Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts

61. Kirchenordnung

trawet und befohlen werden. Doch wolle man sie
darneben etlicher nothwendiger Stucke und Artickel
Brüderlicher und Christlicher |289| wolmei-
nung626 erinneren, Deren sie sich in wehrendem irem
Kirchendienst sollen gemäß verhalten:
Als fürs Erste, Ob sie wol das Theologicum Examen
außgestanden627 und darinnen sich mit ihren Re-
sponsionibus dermaßen verhalten, das sie commu-
nibus suffragiis Conventus zum Kirchendienst tüch-
tig erkandt worden, So sollen sie sich darumb nicht
duncken laßen, als könden sie es alles und haben
nun auß studieret, Sondern sollen wissen, das ihnen
noch viel mangele und das sie derowegen in der hei-
ligen Schrift des Alten und Newen Testaments flei-
ßig und täglich zulesen und dieselbe ihnen wol-
bekandt zumachen schuldig seien, Auch, so viel sie
ihres Kirchendiensts halben zeit und weil haben
werden, fleißig die Lectiones Theologicas628 zu be-
suchen.
Fürs ander, Damit sie aber die heilige Schrift so viel
desto besser verstehen, auch fruchtbarlicher dem
Volck könden furtragen, Sollen sie nicht unterlaßen,
die Bücher fürnemlich zu lesen, so die Summam und
den inhalt unserer Christlichen Religion Artickels
weise verfassen629 und erklären, Als da ist die Chur-
und Fürstliche Augspurgische Confession sampt ih-
rer Apologia und den ubrigen Schrifften, in der For-
mula Concordiae begriffen, Deßgleichen die Recu-
sationschrift gemeiner Evangelischen Stände wider
das Concilium zu Trient630, Auch die Scripta Lu-
theri, Philippi, Buceri, Brentii und dergleichen an-
derer, die zu diesen unseren zeiten gemeldten Schrif-
ten gemäß geschrieben haben. Die Scripta Patrum
et Antiquitatis und die Historias Ecclesiasticas be-

626 Gesinnung, s. Grimm, DWb 30, Sp. 1171.
627 Durchgestanden, s. FWb 2, Sp. 1429f.
628 Zu den theologischen Vorlesungen vgl. Schindling,
Hochschule, S. 341-377.
629 Hier wohl im Sinne von „definieren“, „zusammenfas-
sen“.
630 Recusatio[n]sschrifft, in welcher alle protestierende Re-
ligions und Eynungs verwandte Stende Rechtmessige
und ergründete ursach anzeigen, warumb [...] sie das ver-

fehle man ihnen dergleichen zulesen, Das sie darauß
den Consensum sehen, wie wunderbarlich für und
für von der Apostel zeit an Gott, der Herr, das
Liecht seines heiligen Worts erhalten und scheinen
laßen, Wiewol nicht allwegen gleich |290| hell, Son-
derlich die zeit uber, da der Römische Antichrist in
der Kirchen sich erhöhet unnd für Gott hat anbet-
ten laßen. Andere Schriften aber, als dieser zeit der
Papisten und Jesuitischen Gesellschaft, Item der
Zwinglianer und Calvinisten sampt anderen derglei-
chen Sectirern, sollen sie anderst nicht lesen, Dann
das sie darauß derselben irrige, widerwertige Lehr
und Meinung erkundigen und die hernacher in ihren
Predigen und sonsten anderen Gesprächen desto
satter631 und grundtlicher auß Gottes wort wissen zu
widerlegen.
Fürs dritte Werden sie hiemit in Kirchen Convent
auf- und angenommen, Das sie hinfüro den selbigen
frei besuchen und was ihnen jederzeit beschwerlichs
und mangelhaftiges, ihren Dienst belangendt, wurde
fürfallen, mögen anzeigen, Da inen mit Unterricht
und trewem Rath solle begegnet werden.
Fürs vierdte, Im Convent sollen sie sich gegen den
Pfarrern und andern Kirchendienern ehrentbietig
und freundtlich beweisen, Vor und ehe nicht zun
Sachen reden, sie werden dann befragt, Und das be-
scheidenlich, ohne alle Bitterkeit, damit nicht an-
dere verletzet oder sonsten zu Unwillen möchten
bewegt werden. Was auch durch des Mehrertheils
Stimmen zu gemeiner Auferbawung der Kirchen für
nutz und gut fürzunemen erkandt werde, das sollen
sie ihnen gefallen laßen und, so viel immer müglich,
befürdern helffen.

meint, von Bapst Paulo dem dritten zu Trient angesetzt
Concilium zubesuchen nit schuldig [...], Nürnberg: Jo-
hann vom Berg / Ulrich Neuber 1546 (= VD 16, E 4641);
das Werk erschien auch in lateinischer Sprache: Recu-
satio Tridentinae synodi anno 1546 a statibus Augusta-
nae confessionis Germanice evulgata [...], Basel 1546
(VD 16, E 4647).
631 Fester, intensiver.

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