15. Juli 2011
97
WISSENSCHAFTLICHE SITZUNG
HERR GERHARD DZIUK HÄLT EINEN VORTRAG:
„Die faszinierende Welt der geometrischen Flüsse“.
Geometrische Flüsse verbinden die theoretische mathematische Forschung mit sehr
praktischen Problemen. Sie dienen einerseits dazu, komplexe geometrische Struktu-
ren auf einfache Formen zu reduzieren, andererseits lassen sie aus einfachen Struk-
turen sehr komplexe Dinge wachsen. Zum Beispiel kann man mit der Hilfe geome-
trischer Flüsse die topologische Struktur von Flächen und Mannigfaltigkeiten unter-
suchen. Ein geometrischer Fluss, der anisotrope Krümmungsfluss, ist auch beteiligt,
wenn aus einem extrem kleinen Saatkristall ein komplex strukturierter Kristall
wächst. Ein besonders prominentes Beispiel für das Wachsen solcher komplexen
Strukturen aus einfachen Anfangsstrukturen ist das Entstehen einer Schneeflocke.
Wegen der extrem starken räumlichen Anisotropie und der Instabilität des Problems
ist dieses spezielle Beispiel bisher nicht zuverlässig simulierbar oder theoretisch
untersucht.
Geometrische Flüsse beschreiben die zeitliche Evolution von Flächen oder
Kurven. Dazu ordnet man zunächst einer Kurve oder Fläche eine Oberflächen-
energie zu. Die wichtigsten Beispiele sind der Flächeninhalt von Flächen, die Länge
von Kurven, oder die sogenannte Willmoreenergie von Flächen, die bei Kurven
elastische Energie genannt wird. Für eine gegebene Kurve oder Fläche T sind diese
beiden Energieformen gegeben durch die Formeln
A(r) = L\dS, FE(r) = | frH2dS.
Dabei wird über die Fläche integriert. H ist die mittlere Krümmung der Fläche.
Physikalisch modelliert der Flächeninhalt A ein Potential für kapillare Kräfte, und die
sogenannte Willmoreenergie W modelliert die Biegeenergie einer Fläche oder
Kurve. Diese Biegeenergie wurde schon von Leonhard Euler für Kurven in seinem
Werk „De curvis elasticis“ im Jahr 1744 hergeleitet. Inzwischen gibt es eine große
Anzahl geometrischer Oberflächenenergien, die untersucht wurden und werden.
Daraus ist das große und aktuelle Forschungsgebiet der geometrischen Differential-
gleichungen entstanden.
Abb. 1: Geometrischer Fluss: Eine verknotete Kurve bewegt sich unter dem Fluss der Biegeener-
gie. Links: Startkurve, rechts: Endkurve.
Der zur jeweiligen Oberflächenenergie gehörende geometrische Fluss verrin-
gert die Energie der Kurve oder Fläche in Abhängigkeit von der Zeit ohne Eingriff
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WISSENSCHAFTLICHE SITZUNG
HERR GERHARD DZIUK HÄLT EINEN VORTRAG:
„Die faszinierende Welt der geometrischen Flüsse“.
Geometrische Flüsse verbinden die theoretische mathematische Forschung mit sehr
praktischen Problemen. Sie dienen einerseits dazu, komplexe geometrische Struktu-
ren auf einfache Formen zu reduzieren, andererseits lassen sie aus einfachen Struk-
turen sehr komplexe Dinge wachsen. Zum Beispiel kann man mit der Hilfe geome-
trischer Flüsse die topologische Struktur von Flächen und Mannigfaltigkeiten unter-
suchen. Ein geometrischer Fluss, der anisotrope Krümmungsfluss, ist auch beteiligt,
wenn aus einem extrem kleinen Saatkristall ein komplex strukturierter Kristall
wächst. Ein besonders prominentes Beispiel für das Wachsen solcher komplexen
Strukturen aus einfachen Anfangsstrukturen ist das Entstehen einer Schneeflocke.
Wegen der extrem starken räumlichen Anisotropie und der Instabilität des Problems
ist dieses spezielle Beispiel bisher nicht zuverlässig simulierbar oder theoretisch
untersucht.
Geometrische Flüsse beschreiben die zeitliche Evolution von Flächen oder
Kurven. Dazu ordnet man zunächst einer Kurve oder Fläche eine Oberflächen-
energie zu. Die wichtigsten Beispiele sind der Flächeninhalt von Flächen, die Länge
von Kurven, oder die sogenannte Willmoreenergie von Flächen, die bei Kurven
elastische Energie genannt wird. Für eine gegebene Kurve oder Fläche T sind diese
beiden Energieformen gegeben durch die Formeln
A(r) = L\dS, FE(r) = | frH2dS.
Dabei wird über die Fläche integriert. H ist die mittlere Krümmung der Fläche.
Physikalisch modelliert der Flächeninhalt A ein Potential für kapillare Kräfte, und die
sogenannte Willmoreenergie W modelliert die Biegeenergie einer Fläche oder
Kurve. Diese Biegeenergie wurde schon von Leonhard Euler für Kurven in seinem
Werk „De curvis elasticis“ im Jahr 1744 hergeleitet. Inzwischen gibt es eine große
Anzahl geometrischer Oberflächenenergien, die untersucht wurden und werden.
Daraus ist das große und aktuelle Forschungsgebiet der geometrischen Differential-
gleichungen entstanden.
Abb. 1: Geometrischer Fluss: Eine verknotete Kurve bewegt sich unter dem Fluss der Biegeener-
gie. Links: Startkurve, rechts: Endkurve.
Der zur jeweiligen Oberflächenenergie gehörende geometrische Fluss verrin-
gert die Energie der Kurve oder Fläche in Abhängigkeit von der Zeit ohne Eingriff