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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2011 — 2012

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I. Das Geschäftsjahr 2011
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Sitzung der Math.-nat. Klasse am 15. April 2011
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Spatz, Joachim P.: Das Verständnis zu dem Lernen von biologischen Zellen in künstlicher Umgebung ist ein Weg zu lernenden Materialsystemen
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https://doi.org/10.11588/diglit.55657#0061
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SITZUNGEN

WISSENSCHAFTLICHE SITZUNG
HERR JOACHIM P. SPATZ HÄLT EINEN VORTRAG:
„Das Verständnis zu dem Lernen von biologischen Zellen in künstlicher Umgebung
ist ein Weg zu lernenden Materialsystemen“.
Zellen sind intelligente Materialien, die ganz spezifische Funktionen ausüben, wie
z. B. Gewebe auf- und abbauen und so z. B.Verletzungen heilen können. In meiner
Abteilung forschen wir daran, lebende Zellen und ihre Komponenten an künstliche
Grenzflächen zu binden und zur Herstellung biohybrider Materialien mit spezifi-
schen Eigenschaften zu nutzen. Voraussetzung dafür ist ein grundlegendes Verständ-
nis zellulärer Funktionen, biomolekularer Eigenschaften und Mechanismen sowie
die Entwicklung neuer chemischer und physikalischer Methoden, um zu den Zel-
len chemischen bzw. mechanischen Kontakt aufzunehmen.
Zellen bewegen sich mit Hilfe des Zellskeletts, das ähnlich wie unsere Muskeln
aus festen Fasern des Proteins Aktin besteht. Das Motorprotein, Myosin, interagiert
mit den Aktinfasern und lässt einen Teil der Zelle in eine Richtung kontrahieren
oder expandieren. Dabei stülpt die Zellmembran sogenannte Lamellopodien aus,
die nach geeigneten Kontaktpunkten suchen. Im Falle der nanostrukturierten Ober-
flächen lässt sich im Elektronenmikroskop beobachten, wie die Lamellopodien Kon-
takt zu den mit Peptiden biofimktionalisierten Goldpunkten aufnehmen. Finden sich
geeignete Kontaktstellen, dann beginnt die Zelle mit ihrer eigentlichen Aufgabe,
nämlich z. B. Gewebebausteine zu produzieren. Ist die künstliche Umgebung unge-
eignet, dann tritt nach einiger Zeit der programmierte Zelltod, die Apoptose, ein.
Damit soll das unkontrollierte Wachstum von Zellen im Körper verhindert
werden.
Biologische Zellen nehmen kleinste Strukturen und Veränderungen ihrer Umgebung wahr
und reagieren darauf
Beispielsweise zeigen Gewebezellen von Ratten je nach Umgebung ganz unter-
schiedliches Wachstumsverhalten. In Experimenten platzieren wir Zellen auf Ober-
flächen, die mit Goldnanopartikeln in unterschiedlichen Abständen versehen sind.
Die Goldpunkte werden mit einer molekularen Schicht aus Peptiden fimktionalisiert
und so zu biokompatiblen, molekular selektiven Kontakten für die Zellen. Im Grun-
de also eine stark vereinfachte Nachahmung der extrazellulären Matrix. Jeder fimk-
tionalisierte Goldpunkt spricht einen spezifischen Rezeptor in der Zellmembran an
und beeinflusst damit, wie an benachbarte Rezeptoren Informationen übertragen
werden. Wir konnten nachweisen, dass bei einem Abstand der Goldpunkte von
58 nm, die Zellen gleichmäßig wachsen, sogar beginnen Gewebe auszubilden und
sich offensichtlich wohlfühlen. Ganz anders bei einem Abstand der Goldpunkte von
73 nm. Auch da beginnen die Zellen anfänglich fibrillenartige Ausstülpungen zu bil-
den, finden dann aber keinen ausreichende Haftung und sterben nach ca. 24 Stun-
den den programmierten Zelltod.
 
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