Mischa Meier
181
Antrittsrede von Herrn MISCHA MEIER
an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften vom 22. Januar 2011.
1 Ich wurde in Dortmund geboren und bin in Bochum
aufgewachsen. Wer diese Wurzeln besitzt, kommt im
Rahmen einer Antrittsrede nicht umhin, mit einigen
wenigen Worten auf das Ruhrgebiet einzugehen, das
vielleicht in etwas anderer Weise auf seine Bevölkerung
prägend wirkt als es andere Landschaften zu tun ver-
mögen. Einige Anwesende mögen sich vielleicht auf
den ersten Blick kaum größere Gegensätze vorstellen
als die Gelehrtenversammlung der Heidelberger Aka-
demie der Wissenschaften und die von der Patina des
Verfalls überzogene Industrielandschaft um Rhein und
Ruhr — und trotz aller Feierlichkeiten um die Kultur-
hauptstadt Europas 2010 mag man sich fragen, wie das zusammenpassen soll. Aber
diese Gegensätze existieren nur scheinbar, und sie sind vor allem die Folge der kon-
sequenten Vermittlung eines einseitigen Ruhrgebietsklischees, das jeder Besuch einer
Ruhrgebietsstadt, so hoffe ich, sofort widerlegen sollte. Wenn ich an meine Kindheit
und Jugend denke, erscheinen vor meinem inneren Auge keineswegs nur qualmen-
de Schlote und glühende Hochöfen, wie man sie vor allem als ebenso pittoreske wie
eintönige Kulisse einschlägiger Schimanski-Krimis kennt; ich selbst erinnere mich
vor allem an ausgedehnte Fahrradtouren, die ich an Wochenenden zusammen mit
meinem Vater und meinen beiden Brüdern durch die breiten Grüngürtel entlang der
Ruhr und ihrer Stauseen unternommen habe. Natürlich denke ich auch an die Bun-
desliga am Samstagnachmittag zurück, die im Ruhrgebiet regelmäßig die Straßen
leerfegt und die ich auch heute noch - sofern irgend Zeit bleibt - für mich festzu-
halten versuche; aber ich vergesse auch nicht, dass man, wenn man etwa spontan
beschlossen hatte, in die Oper zu gehen, sogleich die Wahl zwischen vier renom-
mierten Häusern in unmittelbarer Umgebung hatte, dass stets eine der Städte mit
einer kulturellen Besonderheit aufwarten konnte und immer irgendwo in unmittel-
barer Nähe etwas Interessantes geschah. Die Wege waren kurz, und ständig eröffne-
ten sich neue Möglichkeiten. Ich selbst hatte das Glück, die nötigen Freiräume zu
erhalten, um von dieserVielfalt in mancherlei Hinsicht profitieren zu können.
Der Weg zur Alten Geschichte war dadurch allerdings mitnichten vorgezeich-
net. Er ergab sich vielmehr als Summe einer Reihe von Zufällen, die sich aus der
Rückschau in ganz eigentümlicher Weise zusammengefügt haben. Sehr schnell
wurde klar, dass es mit der von mir kurzfristig (sehr kurzfristig) in Betracht gezoge-
nen Laufbahn als Fußballer wohl nichts werden würde. Ich mache dafür vor allem
die wiederholten Armbrüche verantwortlich; dass ein paar technische Finessen
fehlten, mag daneben vielleicht auch eine gewisse Rolle gespielt haben... - Neue
Orientierung war indes rasch gefunden: Als ich 1990 mit dem Abitur meine Essener
Schule verließ, war ich der festen Überzeugung, meine Zukunft würde sich als Kom-
181
Antrittsrede von Herrn MISCHA MEIER
an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften vom 22. Januar 2011.
1 Ich wurde in Dortmund geboren und bin in Bochum
aufgewachsen. Wer diese Wurzeln besitzt, kommt im
Rahmen einer Antrittsrede nicht umhin, mit einigen
wenigen Worten auf das Ruhrgebiet einzugehen, das
vielleicht in etwas anderer Weise auf seine Bevölkerung
prägend wirkt als es andere Landschaften zu tun ver-
mögen. Einige Anwesende mögen sich vielleicht auf
den ersten Blick kaum größere Gegensätze vorstellen
als die Gelehrtenversammlung der Heidelberger Aka-
demie der Wissenschaften und die von der Patina des
Verfalls überzogene Industrielandschaft um Rhein und
Ruhr — und trotz aller Feierlichkeiten um die Kultur-
hauptstadt Europas 2010 mag man sich fragen, wie das zusammenpassen soll. Aber
diese Gegensätze existieren nur scheinbar, und sie sind vor allem die Folge der kon-
sequenten Vermittlung eines einseitigen Ruhrgebietsklischees, das jeder Besuch einer
Ruhrgebietsstadt, so hoffe ich, sofort widerlegen sollte. Wenn ich an meine Kindheit
und Jugend denke, erscheinen vor meinem inneren Auge keineswegs nur qualmen-
de Schlote und glühende Hochöfen, wie man sie vor allem als ebenso pittoreske wie
eintönige Kulisse einschlägiger Schimanski-Krimis kennt; ich selbst erinnere mich
vor allem an ausgedehnte Fahrradtouren, die ich an Wochenenden zusammen mit
meinem Vater und meinen beiden Brüdern durch die breiten Grüngürtel entlang der
Ruhr und ihrer Stauseen unternommen habe. Natürlich denke ich auch an die Bun-
desliga am Samstagnachmittag zurück, die im Ruhrgebiet regelmäßig die Straßen
leerfegt und die ich auch heute noch - sofern irgend Zeit bleibt - für mich festzu-
halten versuche; aber ich vergesse auch nicht, dass man, wenn man etwa spontan
beschlossen hatte, in die Oper zu gehen, sogleich die Wahl zwischen vier renom-
mierten Häusern in unmittelbarer Umgebung hatte, dass stets eine der Städte mit
einer kulturellen Besonderheit aufwarten konnte und immer irgendwo in unmittel-
barer Nähe etwas Interessantes geschah. Die Wege waren kurz, und ständig eröffne-
ten sich neue Möglichkeiten. Ich selbst hatte das Glück, die nötigen Freiräume zu
erhalten, um von dieserVielfalt in mancherlei Hinsicht profitieren zu können.
Der Weg zur Alten Geschichte war dadurch allerdings mitnichten vorgezeich-
net. Er ergab sich vielmehr als Summe einer Reihe von Zufällen, die sich aus der
Rückschau in ganz eigentümlicher Weise zusammengefügt haben. Sehr schnell
wurde klar, dass es mit der von mir kurzfristig (sehr kurzfristig) in Betracht gezoge-
nen Laufbahn als Fußballer wohl nichts werden würde. Ich mache dafür vor allem
die wiederholten Armbrüche verantwortlich; dass ein paar technische Finessen
fehlten, mag daneben vielleicht auch eine gewisse Rolle gespielt haben... - Neue
Orientierung war indes rasch gefunden: Als ich 1990 mit dem Abitur meine Essener
Schule verließ, war ich der festen Überzeugung, meine Zukunft würde sich als Kom-