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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2011 — 2012

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I. Das Geschäftsjahr 2011
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Sitzung der Phil.-hist. Klasse am 28. Oktober 2011
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Holzem, Andreas: Die Cultur trennte die Völker nicht; sie einte und band. (Johannes Janssen, 1829–1891) – Katholische Geschichts- und Zukunftsentwürfe der Kulturkampfzeit zwischen Nations- und Europabewusstsein
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https://doi.org/10.11588/diglit.55657#0099
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SITZUNGEN

einer katholisch induzierten Erneuerung der (west) europäischen Nationen von der
übergreifenden kulturellen Klammer der Religion her zu entwickeln.
Das Projekt einer „Geschichte des deutschen Volkes“ vom späten Mittelalter
über die Reformationszeit bis in der Phase der konfessionellen Antagonismen, deren
Niederschrift in den 1870er Jahren begonnen wurde, war dennoch nicht das kultur-
kämpferische Einschwenken auf den grassierenden Konfessionalismus preußisch-
protestantischer Selbstgewissheiten, sondern das Forttreiben eines europäischen Pro-
jekts unter katholischen Vorzeichen. Dabei sollte die geistige und kulturelle
Führungsrolle, die dem deutschen Katholizismus des 15. Jahrhunderts zugeschrieben
wurde, im Zusammenspiel mit den Katholizismen Frankreichs, Englands und Italiens
erneuert werden. Das heißt: Mit Janssen, und mit allen seinen Käufern und Lesern,
hat der Katholizismus des Kaiserreichs den Reformationsrevisionismus als ein
europäisches Projekt begriffen.
Janssen zeichnete und lebte in einem Europa, das er vor allem als Europa der
Nationen wahrnahm. Eingezeichnet war das Europa als Religionsraum, bzw. als
umkämpfter Raum von Konfessionen. Katholizismen wurden nach nationalen Typen
klassifiziert: Frankreich liberal und verkommen, Italien echt fromm, aber ungebildet,
England als Hoffnungsraum, Deutschland als Land des Kulturkampfs. Aber dessen
Überwindung musste unter den Vorzeichen einer katholisch-deutschen Kulturdomi-
nanz geschehen.
Verstörend aus heutiger Perspektive ist der geradezu selbstverständliche Belli-
zismus in diesen Vorstellungen. Kriege wurden als Erschließungskonflikte konfessio-
neller Hegemonialräume betrachtet. Das war keine dominierende Vorstellung, aber
eine theologisch brisante: Wie selbstverständlich konnte damals - und darüber hin-
aus - gedacht werden, dass Gott Kriege zulasse, um wahres Christentum zu verbrei-
ten?
Janssens Geschichtschreibung und die dahinterstehenden Visionen verloren
bereits mit den ultramontanen Angriffen auf die deutsche Theologie, mit der
(zunächst abgelehnten) Defintion der päpstlichen Infallibilität, schließlich mit den
deutschen Kulturkämpfen und dem wachsenden Gegensatz zwischen Deutschland
und Frankreich ihre Plausibilität. Von den Geschichtsentwürfen Janssens wird man
vielleicht dennoch einen Punkt festhalten können, die Idee nämlich, nationales
Selbstbewusstsein als Projekt internationalen und interkonfessionellen Austausches
und wechselseitiger Bereicherung zu begreifen. Auf dem Katholikentag von 1863
(21.9.) hielt Janssen eine Rede „über die Kirche und die Freiheit der Völker“. Das
war natürlich ganz mittelalterbegeistert, aber für den Grundgedanken zitierte er
Leibnitz, und zwar in einem ganz unnationalen, europäisch-aufgeklärten Sinn: „Die
Kirche brachte den Völkern die Freiheit, weil sie ihnen die Gesittung gebracht hat.
Denn nur durch die Gesittung werden dieVölker wahrhaft frei.“1

Johannes Janssen, Briefe, Bd. 2 (1874-1891), hrsg. von Ludwig von Pastor, Freiburg 1920, 1731.
 
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