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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2011 — 2012

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I. Das Geschäftsjahr 2011
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Lemberg, Ingrid: Seidene Weiber-Strümpff, doch ohne goldene Zwickel: Kleidung im Fokus von Recht, Sittlichkeit und Sozialsemantik
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https://doi.org/10.11588/diglit.55657#0125
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VERANSTALTUNGEN

sehe Krisen häutig der Anlass für eine Wiederholung oder Verschärfung der Kleider-
ordnungen. Denn durch eine reuevolle Rückkehr zur Demut und Bescheidenheit —
so glaubte und hoffte man - ließ sich der Zorn Gottes abwenden oder zumindest
besänftigen5.
Aber es galt nicht nur, Gottes Zorn nicht zu erregen, sondern überhaupt
seinem Willen zu entsprechen, sah man doch die Ständeordnung als von Gott
gewollte Gesellschaftsordnung. Das Überschreiten der Standesgrenzen und die Vor-
täuschung eines höheren Standes, die man mit der Wahl seiner Kleidung signalisier-
te, waren auch Verstöße gegen Gottes Weltordnung6.
Und so versuchten kirchliche und weltliche Obrigkeiten immer wieder mit
allen Kräften das Ende alles modischen Treibens und die Rückkehr zu Moral und
guter Sitte einzuläuten, doch ihre Einwände, Warnungen und Drohungen verhallten
ohne größere Wirkungen auf die modischen Entwicklungen.
Auch in vielen Rechtshandlungen spielen Kleidungsstücke eine Rolle. Reste
davon spiegeln sich gegenwartssprachlich in Ausdrücken wie jemandem den Fehde-
handschuh hinwerfen’ oder ,ein Amt bekleiden’. Und so findet man konsequenter-
weise auch im Deutschen Rechtswörterbuch (DRW), das nicht nur den juristischen
Fachwortschatz, sondern auch den Allgemein Wortschatz in seinen je rechtlichen
Kontexten beschreibt, Artikel zu Wörtern wie Gürtel, Handschuh, Haube, Kleid,
Mantel, Schleier oder Schuh. Im Rechtsleben der Vergangenheit gehören Kleidung
und Recht auf vielfältige Art und Weise zusammen. Um nur einige Beispiele zu nen-
nen: Kleidung zählte zur sog. Fahrhabe (Mobilien) und war als solche Gegenstand
von eigentumsrechtlichen Regelungen, etwa testamentarischen Verfügungen. Die
Entlohnung von Gesinde und vergleichbarer Berufsgruppen erfolgte meist in Form
von Kost und Gewand. Abgaben waren auch in Form von Kleidungsstücken zu
leisten. Blutige Kleidung durfte nicht gekauft oder belieben werden, vor allem, da
ein blutiges Kleid als sog. „blickender Schein“, also als Beweisstück bei Gewalttaten,
insbesondere bei Notzucht, galt (DRW, Art. Notzucht). Kleidung konnte zum Per-
sönlichkeitssymbol werden. So weist z. B. ein Handschuh auf die schützende Hand
des Herrschers hin und symbolisiert damit einen besonderen rechtlichen Schutz,
etwa den sog. Marktfrieden für die Besucher eines Marktes.
Besonders ausdifferenzierte rechtliche Bezüge finden sich zum Mantel.
Dieses Kleidungsstück besitzt eine hohe Anschaulichkeit: Es bietet Schutz vor der
Witterung. In der übertragenen Bedeutung ist das Schutz-Suchen eine Frage der
Bedürftigkeit, das Schutz-Gewähren oder Schutz-Geben eine Frage von
Herrschaftsausübung. Mittels Symbolik und Metaphorik entstehen aus diesen

5 Simon-Muscheid, Katharina, Standesgemäße Kleidung. Repräsentation und Abgrenzung durch
Kleiderordnungen (12.—16.Jh). In: Zweite Haut. Zur Kulturgeschichte der Kleidung. Bern/Stutt-
gart/Wien 2010, S. 93/94.
6 Man vgl. etwa die Rechtssumme des Bruder Bertholds aus dem Jahr 1390 (Tübingen 1987),
S. 1470: daz [Tragen von Kleidung, die den Stand kennzeichnet] ist iiiht siind, von dez wegen, daz
got wil haben ein vnderschaid, [um] ze bechennen sein Ordnung.
 
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