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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2011 — 2012

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I. Das Geschäftsjahr 2011
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Arndt, Simon: Hans Georg von Schnering (6. 7. 1931 – 22. 7. 2010)
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https://doi.org/10.11588/diglit.55657#0186
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Hans Georg von Schiering

205

Phosphane, Silane und Carbosilane. Mühelos gelang der Sprung von diskreten
Molekülen zu den vernetzten Strukturen in der nur scheinbar anderen Welt der Fest-
stoffe. Homonucleare Bindungen in Polyanionen und in Komplexverbindungen mit
Metall-Metall-Bindung waren Gegenstand der Forschung, sowie die Chemie kom-
plexer Fluoride, Hydroxide und Hydrate. Bei letzteren gelang die genaue Lokalisie-
rung der Wasserstoffatome durch Berechnung von Gitterpotentialen, die einer expe-
rimentellen Bestimmung über Neutronenstreuung kaum nachstand.
In Stuttgart ging es Hans Georg von Schnering vor allem um die Verknüpfung
von Chemie und Physik. Quantenchemische Rechnungen für Moleküle und Kri-
stalle gehörten früh zum Repertoire. Mit den Theoretikern der Stuttgarter Univer-
sität, Heinzwerner Preuß und Andreas Savin sowie mit seinem Mitarbeiter Reinhard
Nesper und seinem langjährigen Freund Sten Andersson in Lund entstanden bahn-
brechende Arbeiten zur Analyse und graphischen Darstellung chemischer Bindun-
gen und zur umfassenden Klassifizierung von Strukturen über die Symmetrie, bei
der es um Hierarchie und Organisation im kristallinen Feststoff geht. Die Elektro-
nen-Lokalisierungs-Funktion ELF wird heute weltweit angewendet, und die Syste-
matisierung von Kristallstrukturen mittels gekrümmter Flächen als Raumteiler hat
vielfältige Anregungen für die Erforschung des festen Zustandes gebracht. Das spie-
lerische Erarbeiten von geometrischen Zusammenhängen beispielsweise durch die
Beobachtung von Häuten aus Seifenwasser in verschieden geformten Drahtgebilden
und ihre mathematische Beschreibung war der Beginn einer Entwicklung, die spä-
ter mit der Verfügbarkeit leistungsfähiger Computergrafik in die Erstellung von Auf-
sehen erregenden Lehrfilmen mündete. Der Laie konnte sich an beeindruckender
Kunst erfreuen, dem Fachmann vermittelten sie tiefe Einblicke in Strukturzusam-
menhänge, den Ablauf von Phasentransformationen, lonenbewegungen im Feststoff
und Vieles mehr, und sie konnten das Verbindende in der Vielfalt des scheinbar
Verschiedenen deutlich machen. So wird der Raum in den Strukturen von anorga-
nischem Quarz und organischer Stärke von gleichartigen gekrümmten Flächen
unterteilt, und die Verteilung der Atome ist trotz völlig verschiedener Bindungsver-
hältnisse in beiden Anordnungen unmittelbar vergleichbar. Hans Georg von
Schnering besaß eine geradezu phänomenale Fähigkeit, wichtige Details einer Kri-
stallstruktur zu erkennen, mit anderen Strukturen zu verbinden und das komplexe
Bild im Gedächtnis zu behalten. Beispielhaft ist dies in einer kleinen Publikation
belegt: In der Literatur wurde berichtet, dass ein CuF2-/CuCl2-Gemenge durch
Schockwellen-Kompression an einer Betonwand zu [C1F6][CuF4] reagiert, belegt
durch eine Röntgenstrukturanalyse. Er wies anhand marginaler Inkonsistenzen in
den Daten nach, dass es sich bei dem Reaktionsprodukt um profanes
[Cu(H2O)4][[SiF6] handelte. Über Sinn und Zweck des Versuches konnte er laut
nachdenken.
Für seine herausragenden wissenschaftlichen Leistungen wurde Hans Georg
von Schnering vielfach ausgezeichnet. Unter anderem erhielt er den Alfred-Stock-
Preis der Gesellschaft Deutscher Chemiker, war Ehrendoktor der Universitäten
Genf, Karlsruhe und Würzburg, sowie Mitglied einer Reihe von Akademien, unter
anderem der Akademie der Naturforscher Leopoldina. Es schließt den Kreis zu dem
 
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