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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2011 — 2012

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III. Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses
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B. Das WIN-Kolleg
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4. Forschungsschwerpunkt
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Raumordnung, Norm und Recht in historischen Kulturen Europas und Asiens
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https://doi.org/10.11588/diglit.55657#0338
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Das WIN-Kolleg

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von Raumordnung und sozialen Praktiken oder Diskursen an Fallbeispielen aus den
Altertumswissenschaften zu erproben, die vom Alten Vorderen Orient über die
minoisch-mykenische Welt bis in griechische und römische Geschichte reichten.
Zusätzlich zu den Fachvorträgen, die diese Fragen an konkreten Beispielen reflek-
tierten, bot ein Abendvortrag von Marc Redepenning (Jena) aus diesem Grund
einen wissenschaftsgeschichtlichen Überblick über Raumtheorien der Sozialgeogra-
phie, die in den Altertumswissenschaften gemeinhin und im Vergleich zu der (viel
jüngeren) Raumtheorie der Soziologie relativ wenig rezipiert werden, obwohl dort
gegenwärtig eine sehr avancierte theoretische Debatte geführt wird. Nachdem der
Raum als „Container“ dort längst zugunsten eines an Relationen und Netzen
orientierten Raumbegriffs aufgegeben und in letzter Zeit vornehmlich über Reprä-
sentationen und Imaginationen von Räumen verhandelt worden ist, identifizierte
Redepenning dabei als ein Kardinalproblem der derzeitigen Diskussion die wieder
verstärkt auftauchende Frage, ob und wie die physischen, topographisch-geographi-
schen Gegebenheiten doch auch als Bedingung solcher Repräsentationen und Ima-
ginationen von Räumen eine Rolle spielen. Die Debatte sollte im Verlauf der Tagung
mehrmals auf dieses Problem zurückkommen.
Die Fachvorträge gruppierten sich um drei zentrale Aspekte von Raum-Ord-
nung: Raum und politische Ordnung, Raum und die Ordnung des Sozialen sowie,
als eine Sonderform von beidem, territoriale Ordnungen. Während drei der vier
Sektionen die Frage behandelten, wie der physische menschliche Lebensraum durch
Ordnungskonzepte auf genannten Gebieten strukturiert wurde, drehte die einlei-
tende Sektion die Frage um: Ihr ging es darum, wie abstrakte Ordnungen durch
räumliche Praktiken und Imaginationen selbst erst erzeugt und konzeptionell gefasst
wurden. Den Auftakt machte Claus Ambos (Kollegiat des WIN-Projekts) mit einem
Vortrag über babylonische Königsrituale des 1. Jahrtausends v. Chr. An den baby-
lonischen Neujahrsfesten, dem gewählten Beispiel, zogen die Könige in die Wüste,
um dort in einem rituellen „Gefängnis“ aus vergänglichem Material eine Nacht zu
verbringen, in der sie alle königlichen Attribute ablegten und eine Statusumkehr
erlebten. So mit der kosmischen Ordnung versöhnt und geläutert konnten sie am
nächsten Tag wieder in ihre Herrschaft eingesetzt werden. So entstanden durch
Ritualhandlungen und materielle Installationen temporäre Räume, deren kurzzeitige
Existenz erst die geschilderten rites de passage der Statusumkehr ermöglichten und
die damit verbundenen Ordnungskonzepte demnach nicht bloß repräsentierten,
sondern sie überhaupt erst herstellten.
Sebastian Schmidt-Hofner (Sprecher des WIN-Projekts) stellte am Beispiel des
klassischen Athen die Funktion raumbezogener Semantiken in gesellschaftlichen
Diskursen über normative Ordnungskonzepte dar. Identitätsstiftende Werte, Selbst-
zuschreibungen und Diskurse der Polis wurden in Athen auf Attika, das Territorium
der Stadt bezogen, schlugen sich in Imaginationen Attikas nieder und gebrauchten
Attika als Projektionsfläche und Symbol. Die Medien dieser Semantisierung waren
zahlreich: Neben Narrativen und Bildwerken zählten dazu auch zeichenhafte Hand-
lungen und Institutionen. Für komplexe und häufig abstrakte Werte und Selbstzu-
schreibungen wie Eintracht, Exklusivität oder Wehrhaftigkeit der Polisgemeinschaft
 
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