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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2011 — 2012

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I. Das Geschäftsjahr 2011
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Sitzung der Phil.-hist. Klasse am 15. Juli 2011
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Mosbrugger, Volker: Mensch und Kultur – auf dem Weg zu einem evolutionären Selbstverständnis
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https://doi.org/10.11588/diglit.55657#0069
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SITZUNGEN

nur um weniger als 2% von der unserer nächsten lebenden Verwandten, den
Schimpansen, unterscheidet. Wenn es also eine historische biologische Evolution des
Menschen gibt, dann sollte es auch eine damit systemisch eng verbundene „kultu-
relle Evolution“ geben (Whiten et al. 2011).
Und genau diesem komplexen Prozess von biologischer und kultureller Evo-
lution zwischen etwa 3 Millionen und 20.000 Jahren vor heute widmet sich das auf
zwanzig Jahre angelegte Heidelberger Akademieprojekt „The Role of Culture in
Early Expansions of ETumans“ (ROCEEH), das vor vier Jahren eingerichtet wurde.
Es geht von dem grundlegenden Phänomen aus, dass ein Großteil der biologischen
Evolution der Menschenlinie und auch der Gattung Homo (ab ca. 2.5 Millionen
Jahren) in Afrika erfolgte und Menschenformen seit etwa 2 Millionen Jahren in
mehreren Wellen sich von Afrika ausgehend nach Eurasien und schließlich in alle
Kontinente ausgebreitet haben. Nur drei Prozesse und deren Kombinationen kön-
nen solche Ausbreitungswellen ermöglicht haben: 1) Umwelt- und Klimaverände-
rungen, die neue ökologische und/oder physische Ausbreitungskorridore ermög-
lichten; 2) biologische Evolution neuer Merkmale des Menschen, die eine Ausbrei-
tung über das bisherige Areal und die bisherige ökologische Nische hinaus möglich
machten; und 3) schließlich die Entwicklung von kulturellen-technischen Fähigkei-
ten, die letztlich ebenso neue Ausbreitungsmöglichkeiten eröffnen wie die Prozesse
1 und 2. Die Grundhypothese ist dabei, dass die „kulturelle Evolution“ im Laufe der
Zeit eine immer größere Bedeutung für die Ausbreitungsmöglichkeiten der Men-
schen einnimmt, bis schließlich der Mensch aufgrund seiner kulturellen Fähigkeiten
nahezu alle Ökozonen und Regionen besiedeln kann.
Wie lässt sich eine solche Hypothese testen? Wie hängen biologische und kul-
turelle Evolution zusammen, und wie kann der Zeitpunkt näher eingegrenzt wer-
den, an welchem die geographische Ausbreitung des Menschen weniger von seiner
Biologie, als vielmehr von seinen kulturellen Errungenschaften determiniert wird?
Ein neues Expansionskonzept
Den Schlüssel zur Beantwortung dieser Fragen bildet ein erweitertes, kohärentes
Expansionskonzept, das die drei Dimensionen „Expansion of Range“, „Expansion of
Ecospace“ und „Expansion of Cultural Capacity“ berücksichtigt (Abb. 1). „Expan-
sion of Range“ findet statt, wenn sich eine Homininenform entweder räumlich aus-
breitet, oder wenn sich seine zeitliche oder taxonomische Umgrenzung verändert
(N.B.: eine Expansion kann theoretisch positiv oder negativ sein). Der Ecospace
einer Homininen-Art beschreibt den multidimensionalen Raum ökologischer (kli-
matischer, faunistischer, floristischer, naturräumlicher) Rahmenbedingungen, inner-
halb derer diese Art vorkommt; eine „Expansion of Ecospace“ kann durch Umwelt-
veränderungen erfolgen oder durch den Wandel der Anpassung einer Art an die
bestehende Umwelt aufgrund biologischer Evolution erfolgen, z. B. durch die bio-
logische Veränderung der Klimatoleranz einer Art oder die Erschließung neuer, bis-
lang ungenutzter Nahrungsquellen. Die dritte und in diesem Kontext besonders
wichtige Dimension der Expansion betrifft die kulturellen Kapazitäten (Haidle und
 
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