Sabina Paneti
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nur über Tier und Ball, die auf der Bühne umeinander rollten, so waren die Be-
funde mit der ersten Studie vergleichbar. Das Tier wurde anschließend länger
betrachtet als der Ball.
Wie dieses Untersuchungsbeispiel anschaulich dokumentiert, besteht eine
große Herausforderung für die Säuglingsforschung immer wieder darin, sich Ver-
suche auszudenken, die indirekt Rückschlüsse auf zugrunde liegende Gedanken der
Kinder erlauben. Heute liegen bereits Studien zu unterschiedlichen Aspekten des
physikalischen Denkens (z. B. Verständnis von Verdeckungs- und Inhaltsrelationen,
Schwerkraftverständnis, Trägheitsverständnis), des mathematischen Denkens (z. B.
Erfassung diskreter und kontinuierlicher Mengen), sowie des sozialen Denkens
(z. B. Perspektivenübernahme, Verständnis falschen Glaubens) vor, die eindrucksvoll
bestätigen, dass Menschen von Geburt an über einen regen Geist verfügen und lange
vor Sprachbeginn in der Lage sind, über das, was sie erfahren, auch nachzudenken.
Allerdings bleibt es schwierig, auf der Basis indirekter Belege Sicherheit darüber
zu gewinnen, was genau sie wissen bzw. welche Prozesse genau in ihren Köpfen
ablaufen.
Auch wenn Säuglingsforscher sich trickreiche Experimente ausdenken, um
ihre Hypothesen zu überprüfen, ist es oft schwer, Alternativ-Erklärungen auszu-
schließen. Dieses Problem lässt sich anschaulich an dem eingangs erwähnten Beispiel
der Kategorisierungsstudie erläutern: Hier wurde gezeigt, dass Kinder nicht nur an
einzelne Reiz, sondern auch an Reizarten gewöhnt werden können. Präsentiert man
ihnen mehrere gleichartige Objekte (z. B. mehrere unterschiedlich aussehende Tiere)
nacheinander, so lässt ihre Aufmerksamkeit nach, obwohl jeder Reiz perzeptuell neu
ist. Wie kann man diesen Vorgang erklären? Zunächst scheint denkbar, dass die Kin-
der erkennen, um welche Kategorie es geht und beginnen, sich zu langweilen, sobald
sie erkennen: „Das ist schon wieder ein Tier.“ Allerdings könnte man sich auch vor-
stellen, dass die Kinder noch nichts über Tiere wissen oder auf den Bildern keine
Tiere erkennen, sondern vielmehr automatisch auf bestimmte Merkmale (wie z. B.
Gesichter) reagieren. Oder das Wahrnehmungssystem der Kinder extrahiert unbe-
wusst bestimmte Merkmalskorrelationen aus den dargebotenen Reizen. Ist die
Merkmalskorrelation einmal erkannt, sinkt die Aufmerksamkeit. Welche Erklärung
auch immer zutreffen mag — alleine auf der Grundlage von Blickzeiten lässt sich
nicht zwischen ihnen entscheiden. Hier stößt die Blickanalyse an ihre Grenzen, weil
sie keine direkten Einblicke in mentale Prozesse erlaubt.
In den letzten Jahren hat man begonnen, neben Verhaltensdaten auch Hirn-
strommessungen zu nutzen, um mehr über die Anfänge des menschlichen Denkens zu
erfahren. So wurde in Heidelberg ein Verfahren entwickelt, mit dem es uns gelun-
gen ist herauszufinden, ob die Familiarisierung auf kategorialer Ebene im Falle glo-
baler Kontraste auf die Aktivierung von Wissen über Tiere und Möbel (im Sinne
einer kategorialen Identifikation) oder auf Prozesse der online-Kategorienbildung
zurückzuführen ist. Will man bei Erwachsenen herausfinden, ob ihr Gehirn zwei
Reize unterscheiden kann, dann verwendet man dafür die so genannte EKP-Technik
zur Messung ereigniskorrelierter Potentiale. Dabei setzt man den Probanden Hauben
mit Elektroden auf den Kopf. Diese Elektroden messen Spannungen an der Kopf-
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nur über Tier und Ball, die auf der Bühne umeinander rollten, so waren die Be-
funde mit der ersten Studie vergleichbar. Das Tier wurde anschließend länger
betrachtet als der Ball.
Wie dieses Untersuchungsbeispiel anschaulich dokumentiert, besteht eine
große Herausforderung für die Säuglingsforschung immer wieder darin, sich Ver-
suche auszudenken, die indirekt Rückschlüsse auf zugrunde liegende Gedanken der
Kinder erlauben. Heute liegen bereits Studien zu unterschiedlichen Aspekten des
physikalischen Denkens (z. B. Verständnis von Verdeckungs- und Inhaltsrelationen,
Schwerkraftverständnis, Trägheitsverständnis), des mathematischen Denkens (z. B.
Erfassung diskreter und kontinuierlicher Mengen), sowie des sozialen Denkens
(z. B. Perspektivenübernahme, Verständnis falschen Glaubens) vor, die eindrucksvoll
bestätigen, dass Menschen von Geburt an über einen regen Geist verfügen und lange
vor Sprachbeginn in der Lage sind, über das, was sie erfahren, auch nachzudenken.
Allerdings bleibt es schwierig, auf der Basis indirekter Belege Sicherheit darüber
zu gewinnen, was genau sie wissen bzw. welche Prozesse genau in ihren Köpfen
ablaufen.
Auch wenn Säuglingsforscher sich trickreiche Experimente ausdenken, um
ihre Hypothesen zu überprüfen, ist es oft schwer, Alternativ-Erklärungen auszu-
schließen. Dieses Problem lässt sich anschaulich an dem eingangs erwähnten Beispiel
der Kategorisierungsstudie erläutern: Hier wurde gezeigt, dass Kinder nicht nur an
einzelne Reiz, sondern auch an Reizarten gewöhnt werden können. Präsentiert man
ihnen mehrere gleichartige Objekte (z. B. mehrere unterschiedlich aussehende Tiere)
nacheinander, so lässt ihre Aufmerksamkeit nach, obwohl jeder Reiz perzeptuell neu
ist. Wie kann man diesen Vorgang erklären? Zunächst scheint denkbar, dass die Kin-
der erkennen, um welche Kategorie es geht und beginnen, sich zu langweilen, sobald
sie erkennen: „Das ist schon wieder ein Tier.“ Allerdings könnte man sich auch vor-
stellen, dass die Kinder noch nichts über Tiere wissen oder auf den Bildern keine
Tiere erkennen, sondern vielmehr automatisch auf bestimmte Merkmale (wie z. B.
Gesichter) reagieren. Oder das Wahrnehmungssystem der Kinder extrahiert unbe-
wusst bestimmte Merkmalskorrelationen aus den dargebotenen Reizen. Ist die
Merkmalskorrelation einmal erkannt, sinkt die Aufmerksamkeit. Welche Erklärung
auch immer zutreffen mag — alleine auf der Grundlage von Blickzeiten lässt sich
nicht zwischen ihnen entscheiden. Hier stößt die Blickanalyse an ihre Grenzen, weil
sie keine direkten Einblicke in mentale Prozesse erlaubt.
In den letzten Jahren hat man begonnen, neben Verhaltensdaten auch Hirn-
strommessungen zu nutzen, um mehr über die Anfänge des menschlichen Denkens zu
erfahren. So wurde in Heidelberg ein Verfahren entwickelt, mit dem es uns gelun-
gen ist herauszufinden, ob die Familiarisierung auf kategorialer Ebene im Falle glo-
baler Kontraste auf die Aktivierung von Wissen über Tiere und Möbel (im Sinne
einer kategorialen Identifikation) oder auf Prozesse der online-Kategorienbildung
zurückzuführen ist. Will man bei Erwachsenen herausfinden, ob ihr Gehirn zwei
Reize unterscheiden kann, dann verwendet man dafür die so genannte EKP-Technik
zur Messung ereigniskorrelierter Potentiale. Dabei setzt man den Probanden Hauben
mit Elektroden auf den Kopf. Diese Elektroden messen Spannungen an der Kopf-