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ANTRITTSREDEN
allerdings. Ich musste für ein paar Wochen bleiben, damit er seine Investitionen
rechtfertigen konnte.
Danach reisten wir in die USA weiter. Bei meiner Ankunft bei den Bell Labs
in Holmdel im Mai 1999 erfuhr ich, dass Uzi Koren, welcher mich angestellt hatte,
sich nach ca. 30 Jahren bei den Bell Labs eben vor einer Woche verabschiedet hatte.
Er wollte eine eigene Firma gründen und hatte die Bell Labs auch bereits verlassen.
Ich wurde einem neuen Chef zugeordnet. Zur Einführung erklärte man mir, dass
man Postdocs etwas mehr Zeit gäbe als den regulären „Members ofTechnical Staff“.
Die MTS würden jedes Jahr beurteilt: es würden drei Linien gezogen, „The top
10%, the bottom 20% and the bottom 10%“. Die „Bottom 20 %“ würden verwarnt,
die „Bottom 10%“ entlassen. Als Postdoc hätte ich allerdings zwei Jahre Zeit, und
alle Möglichkeiten würden mir offenstehen. Wenn die Welt der Telekommunikation
meinen Namen nach diesen zwei Jahren kennen würde, so könnte ich bleiben. Das
war eine große Chance.
Mein Arbeitsplatz war in den Crawford Hill Labs am Telegraph Hill von
Holmdel. Wenn ich den Korridor entlangging, traf ich auf das „Who is Who“ der
optischen Kommunikation. Da waren all die Buchautoren der Standardwerke, der
Erfinder der neusten Glasfasergeneration, der Erfinder der MEMS-Schalter, einer der
Erfinder des optischen Verstärkers, der amerikanische Erfinder des optischen Wellen-
längenmultiplexing, Bob Wilson, Nobelpreisträger und Entdecker der Hintergrund-
strahlung, und mit allen war man per „Du“.
Im ersten Monat bei den Bell Labs zitierte der CTO alle Wissenschaftler zu
sich. Nur wenige Monate zuvor hatten Forscher zum ersten Mal 40 Gbit/s am Stück
über 100 Kilometer übermittelt. Drei verschiedene Firmen hatten zur gleichen Zeit
unabhängig voneinander ihre identische Arbeit zur Präsentation als OFC-Postdead-
linepaper eingereicht (OFC = Optical Fiber Conference). Die OFC-Postdead-
linepapers sind die „Olympiade“ der optischen Kommunikationstechniker. Jedes
Jahr werden die 40 besten Arbeiten ausgewählt. Es ist das Treffen der Giganten auf
dem Gebiet. Da die drei Arbeiten identisch waren, wurden alle drei zur Präsentation
zugelassen. Nur gerade drei Monate später ließ einer der drei Konkurrenten über die
Presse mitteilen, dass er im nächsten Jahr Systeme verkaufen würde, welche 40 Gbit/s
über 1000 Kilometer übertragen könnten. Der Schock saß tief. Man wunderte sich
bei den Bell Labs, was man in der Physik übersehen hätte. Doch der Auftrag des
CTO war klar. Wir sollten innerhalb von zwei Jahren ein System bauen, das doppelt
so gut war wie jenes des Konkurrenten.
Ich entschied mich für eine Lösung mittels voll-optischer Signalregeneration.
Meine Idee wurde für gut befunden und ich wurde mit der sofortigen Ausführung
betraut. Dazu musste ich einen hochintegrierten Chip bauen. Nach guter europäi-
scher Sitte fing ich mit ausgedehnten Berechnungen an. Nach zwei Wochen stand
mein Mentor und Freund Chuck Joyner mit einem unbearbeiteten Wafer in der
Hand an meiner Tür und fragte mich, ob ich mit dem Ausarbeiten der Details fertig
wäre - er hätte hier den Wafer und wir sollten jetzt mit der Herstellung anfangen.
Da wurde mir klar, dass dieses Land einen anderen Rhythmus hatte. Ich musste ihm
gestehen, dass ich kaum am Anfang meiner Berechnungen stünde, welche sich dann
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allerdings. Ich musste für ein paar Wochen bleiben, damit er seine Investitionen
rechtfertigen konnte.
Danach reisten wir in die USA weiter. Bei meiner Ankunft bei den Bell Labs
in Holmdel im Mai 1999 erfuhr ich, dass Uzi Koren, welcher mich angestellt hatte,
sich nach ca. 30 Jahren bei den Bell Labs eben vor einer Woche verabschiedet hatte.
Er wollte eine eigene Firma gründen und hatte die Bell Labs auch bereits verlassen.
Ich wurde einem neuen Chef zugeordnet. Zur Einführung erklärte man mir, dass
man Postdocs etwas mehr Zeit gäbe als den regulären „Members ofTechnical Staff“.
Die MTS würden jedes Jahr beurteilt: es würden drei Linien gezogen, „The top
10%, the bottom 20% and the bottom 10%“. Die „Bottom 20 %“ würden verwarnt,
die „Bottom 10%“ entlassen. Als Postdoc hätte ich allerdings zwei Jahre Zeit, und
alle Möglichkeiten würden mir offenstehen. Wenn die Welt der Telekommunikation
meinen Namen nach diesen zwei Jahren kennen würde, so könnte ich bleiben. Das
war eine große Chance.
Mein Arbeitsplatz war in den Crawford Hill Labs am Telegraph Hill von
Holmdel. Wenn ich den Korridor entlangging, traf ich auf das „Who is Who“ der
optischen Kommunikation. Da waren all die Buchautoren der Standardwerke, der
Erfinder der neusten Glasfasergeneration, der Erfinder der MEMS-Schalter, einer der
Erfinder des optischen Verstärkers, der amerikanische Erfinder des optischen Wellen-
längenmultiplexing, Bob Wilson, Nobelpreisträger und Entdecker der Hintergrund-
strahlung, und mit allen war man per „Du“.
Im ersten Monat bei den Bell Labs zitierte der CTO alle Wissenschaftler zu
sich. Nur wenige Monate zuvor hatten Forscher zum ersten Mal 40 Gbit/s am Stück
über 100 Kilometer übermittelt. Drei verschiedene Firmen hatten zur gleichen Zeit
unabhängig voneinander ihre identische Arbeit zur Präsentation als OFC-Postdead-
linepaper eingereicht (OFC = Optical Fiber Conference). Die OFC-Postdead-
linepapers sind die „Olympiade“ der optischen Kommunikationstechniker. Jedes
Jahr werden die 40 besten Arbeiten ausgewählt. Es ist das Treffen der Giganten auf
dem Gebiet. Da die drei Arbeiten identisch waren, wurden alle drei zur Präsentation
zugelassen. Nur gerade drei Monate später ließ einer der drei Konkurrenten über die
Presse mitteilen, dass er im nächsten Jahr Systeme verkaufen würde, welche 40 Gbit/s
über 1000 Kilometer übertragen könnten. Der Schock saß tief. Man wunderte sich
bei den Bell Labs, was man in der Physik übersehen hätte. Doch der Auftrag des
CTO war klar. Wir sollten innerhalb von zwei Jahren ein System bauen, das doppelt
so gut war wie jenes des Konkurrenten.
Ich entschied mich für eine Lösung mittels voll-optischer Signalregeneration.
Meine Idee wurde für gut befunden und ich wurde mit der sofortigen Ausführung
betraut. Dazu musste ich einen hochintegrierten Chip bauen. Nach guter europäi-
scher Sitte fing ich mit ausgedehnten Berechnungen an. Nach zwei Wochen stand
mein Mentor und Freund Chuck Joyner mit einem unbearbeiteten Wafer in der
Hand an meiner Tür und fragte mich, ob ich mit dem Ausarbeiten der Details fertig
wäre - er hätte hier den Wafer und wir sollten jetzt mit der Herstellung anfangen.
Da wurde mir klar, dass dieses Land einen anderen Rhythmus hatte. Ich musste ihm
gestehen, dass ich kaum am Anfang meiner Berechnungen stünde, welche sich dann