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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2011 — 2012

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I. Das Geschäftsjahr 2011
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Antrittsreden
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Conard, Nicholas John: Antrittsrede von Herrn Nicholas J. Conard an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften vom 29. Oktober 2011
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https://doi.org/10.11588/diglit.55657#0172
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Nicholas J. Conard

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bereiten kann, ernsthafte wissenschaftliche Arbeit in einer Gruppe von Menschen
mit verschiedenem Hintergrund zu verrichten.
Gleich nach meinem 18. Geburtstag verließ ich meine Heimat Ohio und
nahm das Studium an der University of Rochester in Upstate New York auf, von der
ich ein Stipendium erhalten hatte. Noch heute habe ich sehr enge Bande nach Ohio,
aber ich fühlte ein hohes Maß an Wanderlust und musste von meiner Familie und
meinen Freunden fortziehen. Aus meinem Bedürfnis heraus, zu lernen, wie die Welt
um mich herum auf einem atomaren und molekularen Maßstab funktionierte,
wurde Chemie mein erstes Hauptfach. Mein zweites Hauptfach war Anthropologie,
in den Vereinigten Staaten derjenige Fachbereich, der auch die Prähistorische
Archäologie beinhaltet. Das Schwerste, das ich als Student je bewältigte, war mein
Bachelor-Abschluss in Chemie. Die wenigen Absolventen dieses Studiengangs in
Rochester fühlten sich wie Überlebende einer Art wissenschaftlichen Traumas. Die
Anforderungen waren hoch und die Professoren oft gnadenlos. Mein Abschluss in
Anthropologie fiel mir viel leichter. Wie man sich vorstellen kann, schätze ich mei-
nen Abschluss in Chemie genauso hoch ein wie meine anderen wissenschaftlichen
Leistungen, wenn nicht höher. Mein drittes Universitätsjahr verbrachte ich in Frei-
burg im Breisgau und studierte dort Physikalische Chemie bei den Professoren
Schmidt und Zimmermann sowie Völkerkunde bei Professor Seitz. Ich lernte
Deutsch und verbrachte ein glänzendes Jahr damit, Europa zu erkunden und meine
Gedanken zu entwickeln.
Zurück in Rochester, beendete ich mein Archäologiestudium unter dem
anspruchsvoll-strengen Professor Rene Millon, dem berühmten Kartographen und
Ausgräber von Teotihuacän. Der größte Teil meiner formellen wissenschaftlichen
Ausbildung betraf Meso- und Südamerikanische Archäologie. Für die Forschungen
im Rahmen meiner Bachelorarbeit schloss ich mich Prof. Harry Goves Arbeitsgrup-
pe am Nuclear Structure Research Laboratory (NSRL) in Rochester an. Die Physi-
ker dort freuten sich, einen Chemiker und Archäologen aufzunehmen. Goves
Arbeitsgruppe hatte gerade die Technik der Beschleuniger-Massenspektrometrie
(accelerator mass spectrometry: AMS) entwickelt, und ich stieg in aller Bescheiden-
heit ein. Das erste Mal, als ich Gove traf, überreichte er mir einen fast 50 cm hohen
Stapel mit Schreiben, die Anwendungen dieser neuen Technik vorschlugen, und er
forderte mich auf, eines davon für mein Forschungsprojekt auszuwählen. Ich
beschloss, die AMS-Radiokohlenstoffdatierung anzuwenden um festzustellen, wann
sich der Ackerbau im amerikanischen Mittleren Westen entwickelt hatte. Unter mei-
ner Federführung publizierten wir die Ergebnisse meiner Bachelorforschungen 1983
in einem Band der Laboratoriumszeitschrift und 1984 in Nature. Diese Studie war
wahrscheinlich die erste erfolgreiche Anwendung der Methode auf eine reale
archäologische Fragestellung.
Nach meinem Abschluss in Rochester wurde ich für ein Jahr Stipendiat an der
Universität zu Köln. Zunächst war ich im Englischen Seminar untergebracht und
verrichtete dort sinnfreie Aufgaben, später wurde ich gebeten, einmal pro Woche in
einer der vielen Bars im Studentenviertel rund um die Zülpicher Straße englische
Konversationszirkel zu leiten. Dann traf ich Prof. Wolfgang Taute, den Direktor des
 
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