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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2011 — 2012

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I. Das Geschäftsjahr 2011
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Roquette, Peter: Heinrich-Wolfgang Leopoldt (22. 8. 1927 – 28. 7. 2011)
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https://doi.org/10.11588/diglit.55657#0189
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208

NACHRUFE

Das Werk Leopoldts ist von der Aufgabe bestimmt, „die Klasse der abelschen Kör-
per in systematischer und strukturinvarianter Weise so zu erschließen, dass man sich in ihnen
ebenso frei bewegen kann wie in den quadratischen Zahlkörpern“. Diese Aufgabe war 1952
in einer Monographie von Hasse formuliert worden, und sein Schüler Leopoldt
machte sich nun daran, das Programm Schritt für Schritt zu erfüllen. Ohne hier auf
die einzelnen Details einzugehen, seien jedoch zwei herausragende Resultate her-
vorgehoben.
Erstens nennen wir seine großartige, in Princeton entstandene Arbeit über den
Spiegelungssatz galoisscher Zahlkörper. Die klassischen Teilbarkeitskriterien von
Kummer und Hecke für Klassenzahlen werden hier nicht nur auf allgemeinere
Situationen verallgemeinert, sondern es wird durch den von ihm entdeckten Spie-
gelungssatz eine begriffliche, strukturelle Deutung gegeben, welche die numerischen
Kriterien erst verständlich macht. Daraus wird dann wieder eine große Zahl von
weiteren Kongruenzbedingungen für die Klassenzahlprimteiler hergeleitet, die bis
dahin nicht bekannt waren. Heute gehören diese Resultate selbstverständlich zu dem
unentbehrlichen Werkzeug eines Zahlentheoretikers; damals erregte Leopoldts
Arbeit ein großes Aufsehen; sie ist in Konzeption und Ausführung als ein Meister-
werk anzusehen.
Zweitens nennen wir die neuartigen p-adisch-analytischen L-Funktionen, die
Leopoldt mit sicherer Hand vermöge p-adischer Approximation eingeführt hat, als
Analogon zu den bekannten L-Funktionen von Dirichlet und Hecke. Diese gemein-
sam mit seinem japanischen Kollegen Tomio Kubota publizierte Arbeit erschien
1964 und gehört heute zu den Klassikern der algebraischen Zahlentheorie. Die
p-adischen L-Funktionen lieferten ganz neue Serien von transzendenten Bestim-
mungsstücken algebraischer Zahlkörper. Die berühmt gewordene „Leopoldt-Ver-
mutung“ über das Nichtverschwinden der p-adischen L-Funktionen an der Stelle 1
hat eine ganze Phalanx von Zahlentheoretikern beschäftigt. Zwar ist sie für abelsche
Körper inzwischen bestätigt worden, aber für allgemeine galoissche Körper steht sie
immer noch aus. Gerade in den letzten Jahren sind Resultate bekannt geworden, die
erwarten lassen, dass die Leopoldt-Vermutung auch im galoisschen Fall in nicht allzu
ferner Zeit erledigt sein wird.
Ein besonderes Kennzeichen der Leopoldtschen Arbeiten ist ihre stets auf das
Konkrete gerichtete Zielsetzung und die formelmäßig explizite und effektive Gestalt
seiner Resultate. Abstrakte, strukturelle Überlegungen bringt er zwar souverän zur
Geltung, sie dienen ihm jedoch lediglich als Motivation und Leitfaden zur Auffin-
dung der Gesetzmäßigkeiten, sowie auch zur Erhöhung der Durchsichtigkeit seiner
Gedankengänge. Jedoch sind die Gesetzmäßigkeiten selbst, die er formuliert, soweit
wie möglich bis zu einer effektiv algorithmisch berechenbaren Form durchgearbei-
tet, zu einem erheblichen Teil beruhen sie auf dem von ihm erstellten umfangreichen
numerischen Material.
Dieser Einstellung Leopoldts ist es wohl auch zuzuschreiben, dass er sich früh-
zeitig der Entwicklung von Methoden des computergestützten Rechnens für die
Zahlentheorie zugewandt hat. Seine Arbeitsgruppe in Karlsruhe war eine der ersten
in Deutschland, die systematisch Computer-Programme zur algebraischen Zahlen-
 
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