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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2011 — 2012

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III. Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses
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B. Das WIN-Kolleg
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4. Forschungsschwerpunkt
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Raumordnung, Norm und Recht in historischen Kulturen Europas und Asiens
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https://doi.org/10.11588/diglit.55657#0341
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FÖRDERUNG DES WISSENSCHAFTLICHEN NACHWUCHSES

öffentlich“, „profan vs. sakral“ und „Räume für Tote vs. für Lebendige“ ein viertes
Gegensatzpaar, mit dem man die Raumordnungen aller antiken Kulturen traditionell
beschrieben hat, nämlich die Antinomie von Räumen für Männer und für Frauen.
Eine kritische Prüfung der communis opinio über die Bedeutung von Geschlech-
terrollen für die (konzeptionelle und materielle) Konstruktion der römischen domus
nahm Celia Schultz (Ann Arbor) vor. Sie zeigte zum einen, dass dem gesellschaft-
lichen Diskurs, der weibliche Tugenden in der domus verortete - etwa durch die
Betonung der Webarbeit als Inbegriff weiblicher Tätigkeit — ein Diskurs gegenüber-
stand, der der domus zugleich ein zentrale Rolle in der Konstruktion männlicher,
bürgerlich-politischer Rollen zuschrieb: Als Ort der salutatio, der politischen Bera-
tung etc.etc. Zum anderen verwies sie darauf, dass auch die Raumnutzung pompe-
janischer Häuser keinerlei geschlechterspezifische Aufteilungen erkennen ließen.
„Gendered Spaces“ seien demnach zwar ein - wenn auch nicht ungebrochenes -
Diskursphänomen gewesen, hätten aber keinen Ort in der gesellschaftlichen Wirk-
lichkeit besessen.
Die vierte und letzte Sektion behandelte eine spezielle und omnipräsente
Erscheinungsform der soziopolitischen Prägung von Raumkonstruktionen, nämlich
die Entstehung und Ausformung politischer Territorien. Das früheste greifbare Bei-
spiel solcher Prozesse in den altsumerischen Stadtstaaten des 4. und 3. Jtsds. v. Chr.
behandelte Camille Lecompte (Mitarbeiter des WIN-Projekts). Sein Vortrag zeigte,
dass schon für diese frühen politischen Formationen nicht nur von einer sehr viel
dichter als bislang angenommenen Besiedelung des Umlands der Stadtstaaten auszu-
gehen ist, sondern dass auch hier schon eine starke zentralistische Durchdringung
nach innen und zugleich territoriale Abgrenzung nach außen stattfand, die sich
in der Verwaltungs- und Wirtschaftsstruktur ebenso wie in kultischen Konzepten
(Territorium als Eigentum der Götter) und entsprechenden Praktiken, etwa Prozes-
sionen, niederschlug. Eine ungewöhnliche Perspektive wählte Massimo Osannas
(Matera) Vortrag über Territorialisierungsprozesse in der Magna Graecia. Statt wie
üblich von der territorialen Durchdringung des italischen Hinterlandes der groß-
griechischen Städte auszugehen, konzentrierte er sich auf die indigenen Siedlungen
des Landesinneren. Am Beispiel eines großangelegten Surveys in Lukanien zeigte er,
wie sich aus langfristigen Veränderungen von Siedlungsmustern Rückschlüsse über
die politische Organisation und Territorialisierungsprozesse in einem durch schrift-
liche Quellen kaum erfassbaren Raum ableiten lassen.
Die beiden anderen Vorträge der Sektion wendeten den Blick von kleinräu-
migeren Territorialisierungsprozessen zu denjenigen antiker Großreiche. Herve
Reculeau (Berlin/Paris) gab einen Überblick über die mesopotamischen Reichsbil-
dungen im 2. Jtsd. v. Chr., bei denen die territoriale Durchdringung sehr unter-
schiedlich stark ausgeprägt war: Während in den Amoritischen Königtümern des
19.—17. Jhdts. v. Chr. der Herrschaftsraum wesentlich durch Personenbeziehungen
konzeptionalisiert wurde und auch nur eine geringe territoriale Kontrolle bestand,
konnte Reculeau zeigen, dass im sog. mittelassyrischen Reich das Konzept nach
außen abgegrenzter, nach innen (proto)bürokratisch penetrierter Territorien auf-
taucht. Unklar bleibt allerdings, welche Prozesse in den dunklen Jahrhunderten um
 
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