9. Juni 2011
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Heute ist unsere Wahlfreiheit in Hinblick auf unsere Kleidung sehr groß. Wir
können durch den Stil unserer Kleidung unseren sozialen Status zum Ausdruck brin-
gen oder auch einen erstrebten sozialen Status vorgeben2. Ganz anders im Mittelalter
und in der frühen Neuzeit, als Recht, Ordnung und Sozialgefüge in hohem Maße
von Ritualen und Symbolen geprägt waren. Kleidung signalisierte Standeszu-
gehörigkeit und Sozialstatus und war so Mittel der gesellschaftlichen Zuordnung
und Abgrenzung. Zahlreiche, von städtischen und dann auch territorialen Obrigkei-
ten erlassene Kleiderordnungen3 regelten vom hohen Mittelalter bis zur Französi-
schen Revolution diese sozialen Normen und sorgten überdies für die Einhaltung
von Sitte und Moral. Als Ursachen für den im hohen Mittelalter zu konstatierenden
Wandel im Bekleidungsverhalten gelten unter anderem die Entdeckung der Indivi-
dualität sowie der Geschlechterdifferenzierung, beides einhergehend mit dem Auf-
blühen der Städte sowie der Entstehung eines Bürgertums, das sehr schnell das
Bedürfnis entwickelte, seinen sozialen Status durch Bekleidung zum Ausdruck zu
bringen und natürlich auch noch zu erhöhen. Bestimmte Kleidungsstücke,
Kopfbedeckungen, Stoffe, Farben, diverse Accessoires wie seidene Weiberstrümpfe mit
goldenen oder silbernene Zwickeln, silberne Schnallen, scharlachene Brusttücher, Perlen mit
Corallen4 waren Chiffren der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Gesellschaftsstand.
Die Obrigkeiten sahen sich in der Pflicht: In der Verantwortung für Ruhe und Ord-
nung, als deren Grundlage klare soziale Strukturen galten, suchten sie Eitelkeiten,
Prunksucht, das Mehr-scheinen als Sein mittels Kleiderordnungen zu unterbinden,
indem sie klar und deutlich das modisch Erlaubte sowie das Verbotene formulierten
und in detaillierten Aufschlüsselungen niederlegten, wem aufgrund seines Standes,
seines Status als verheiratet, verwitwet oder ledig sowie seines Geschlechts und Alters
welche Kleidungsstücke, Stoffe, Farben,Verzierungen usw. erlaubt waren.
Darüberhinaus führten auch wirtschaftliche Gründe zum Erlassen der
Kleiderordnungen: Obrigkeitliche Luxusmandate sollten verhindern, dass sich die
Menschen durch zu hohe finanzielle Aufwändungen für ihre Kleidung in Schulden
stürzten, verarmten und schließlich der Gemeinschaft zur Last fielen. Auch der Geld-
transfer ins Ausland durch den Import modischer Stoffe und Accessoires aus anderen
Ländern, vornehmlich aus Italien und Frankreich, war den Obrigkeiten lange ein
Dorn im Auge.
Ferner dienten die Kleiderordnungen der Einhaltung der Sittlichkeit im
öffentlichen Raum. Und nicht nur dies: Da die durch opulente Kleidung zur Schau
gestellte superbia (hoflart, Stolz, Eitelkeit) den Zorn Gottes herausforderte, waren in
diesem Sinn als göttliche Strafen gedeutete Naturkatastrophen, Seuchen oder politi-
2 Die einzige gesetzliche Regelung zur Bekleidung im geltenden Recht ist heute nur noch indi-
rekt das Verbot der Nacktheit als Bestandteil der Erregung öffentlichen Ärgernisses (StGB
§ 183a).
3 Dazu grundlegend Eisenbart, Liselotte Constanze, Kleiderordnungen der deutschen Städte zwi-
schen 1350 und 1700. Göttingen 1962.
4 Die Kleiderordnung der Reichsstadt Schwäbisch Hall von 1745. Stadtarchiv Schwäbisch Hall.
Mit einem Nachwort von Andreas Maisch. [Reprint d.Ausg.] Schwäbisch Hall 1999.
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Heute ist unsere Wahlfreiheit in Hinblick auf unsere Kleidung sehr groß. Wir
können durch den Stil unserer Kleidung unseren sozialen Status zum Ausdruck brin-
gen oder auch einen erstrebten sozialen Status vorgeben2. Ganz anders im Mittelalter
und in der frühen Neuzeit, als Recht, Ordnung und Sozialgefüge in hohem Maße
von Ritualen und Symbolen geprägt waren. Kleidung signalisierte Standeszu-
gehörigkeit und Sozialstatus und war so Mittel der gesellschaftlichen Zuordnung
und Abgrenzung. Zahlreiche, von städtischen und dann auch territorialen Obrigkei-
ten erlassene Kleiderordnungen3 regelten vom hohen Mittelalter bis zur Französi-
schen Revolution diese sozialen Normen und sorgten überdies für die Einhaltung
von Sitte und Moral. Als Ursachen für den im hohen Mittelalter zu konstatierenden
Wandel im Bekleidungsverhalten gelten unter anderem die Entdeckung der Indivi-
dualität sowie der Geschlechterdifferenzierung, beides einhergehend mit dem Auf-
blühen der Städte sowie der Entstehung eines Bürgertums, das sehr schnell das
Bedürfnis entwickelte, seinen sozialen Status durch Bekleidung zum Ausdruck zu
bringen und natürlich auch noch zu erhöhen. Bestimmte Kleidungsstücke,
Kopfbedeckungen, Stoffe, Farben, diverse Accessoires wie seidene Weiberstrümpfe mit
goldenen oder silbernene Zwickeln, silberne Schnallen, scharlachene Brusttücher, Perlen mit
Corallen4 waren Chiffren der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Gesellschaftsstand.
Die Obrigkeiten sahen sich in der Pflicht: In der Verantwortung für Ruhe und Ord-
nung, als deren Grundlage klare soziale Strukturen galten, suchten sie Eitelkeiten,
Prunksucht, das Mehr-scheinen als Sein mittels Kleiderordnungen zu unterbinden,
indem sie klar und deutlich das modisch Erlaubte sowie das Verbotene formulierten
und in detaillierten Aufschlüsselungen niederlegten, wem aufgrund seines Standes,
seines Status als verheiratet, verwitwet oder ledig sowie seines Geschlechts und Alters
welche Kleidungsstücke, Stoffe, Farben,Verzierungen usw. erlaubt waren.
Darüberhinaus führten auch wirtschaftliche Gründe zum Erlassen der
Kleiderordnungen: Obrigkeitliche Luxusmandate sollten verhindern, dass sich die
Menschen durch zu hohe finanzielle Aufwändungen für ihre Kleidung in Schulden
stürzten, verarmten und schließlich der Gemeinschaft zur Last fielen. Auch der Geld-
transfer ins Ausland durch den Import modischer Stoffe und Accessoires aus anderen
Ländern, vornehmlich aus Italien und Frankreich, war den Obrigkeiten lange ein
Dorn im Auge.
Ferner dienten die Kleiderordnungen der Einhaltung der Sittlichkeit im
öffentlichen Raum. Und nicht nur dies: Da die durch opulente Kleidung zur Schau
gestellte superbia (hoflart, Stolz, Eitelkeit) den Zorn Gottes herausforderte, waren in
diesem Sinn als göttliche Strafen gedeutete Naturkatastrophen, Seuchen oder politi-
2 Die einzige gesetzliche Regelung zur Bekleidung im geltenden Recht ist heute nur noch indi-
rekt das Verbot der Nacktheit als Bestandteil der Erregung öffentlichen Ärgernisses (StGB
§ 183a).
3 Dazu grundlegend Eisenbart, Liselotte Constanze, Kleiderordnungen der deutschen Städte zwi-
schen 1350 und 1700. Göttingen 1962.
4 Die Kleiderordnung der Reichsstadt Schwäbisch Hall von 1745. Stadtarchiv Schwäbisch Hall.
Mit einem Nachwort von Andreas Maisch. [Reprint d.Ausg.] Schwäbisch Hall 1999.