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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2011 — 2012

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I. Das Geschäftsjahr 2011
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Antrittsreden
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Pauen, Sabina: Antrittsrede von Frau Sabina Pauen an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften vom 23. Januar 2011
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https://doi.org/10.11588/diglit.55657#0144
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Sabina Paneti

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und rutscht nach außen weg, um wenig später wieder am rechten Bühnenrand auf-
zutauchen und zurück zum Startpunkt zu gleiten. Anschließend kommt am linken
Rand des Wandschirms der blaue Block zum Vorschein, rutscht zum linken Büh-
nenrand und verschwindet. Dieser Vorgang wiederholt sich nun so oft, bis Sie
gelangweilt sind und nicht mehr hinschauen. Die Familiarisierungsphase ist beendet.
Wir gehen davon aus, dass Sie sich eine Vorstellung davon gemacht haben, was
hinter dem Wandschirm passiert sein könnte. Am plausibelsten scheint dabei die
Annahme, dass der blaue und der rote Block sich jeweils gegenseitig angestoßen und
auf diese Weise in Bewegung versetzt haben, wie dies den Gesetzen der Mechanik
entspricht. Um herauszufinden, ob Säuglinge ähnliche Erwartungen haben, muss auf
die Familiarisierungsphase eine Testphase folgen. Dabei sehen die Kinder zwei Sze-
nen abwechselnd: In der ersten Testszene (erwartetes Ereignis) wird der Wandschirm
zunächst entfernt und anschließend das gleiche Bewegungsereignis gezeigt wie
zuvor. Dabei stoßen sich beide Blöcke gegenseitig an. In der zweiten Testszene (uner-
wartetes Ereignis) wird der Wandschirm ebenfalls entfernt und anschließend gezeigt,
dass die Blöcke sich nicht wirklich anstoßen, sondern dass zwischen ihnen eine deut-
lich erkennbare Lücke bleibt. Wie gezeigt werden konnte, reagieren bereits wenige
Monate alte Babys überrascht, wenn sie die unerwartete Testszene sehen. Diese und
ähnliche Befunde haben Säuglingsforscher zu der Schlussfolgerung veranlasst, dass
das Kontaktprinzip zum angeborenen physikalischen Kernwissen gehört. Dabei
handelt es sich um Wissen, das nicht erst durch Erfahrung erworben werden muss,
sondern das uns in die Wiege gelegt ist. Baby - so die aktuelle Lehrmeinung -
„wissen“, dass unbelebte Objekte sich nicht ohne Einwirkung einer externen Kraft
bewegen. Befinden sie sich in Ruhe, so muss ein anderes Objekt zunächst physischen
Kontakt mit ihnen aufnehmen, um sie in Bewegung zu versetzen.
Interessanterweise gilt das Kontaktprinzip offensichtlich nicht für Lebewesen.
Als man den gleichen Versuch nochmals mit Personen anstatt von Blöcken präsen-
tierte, wunderten sich die Babys wenig, wenn zwischen den Personen eine Lücke
blieb und keine die andere anstoßen musste, um sie in Bewegung zu versetzen. Diese
Beobachtung war eine der ersten, die darauf hinwies, dass Kinder möglicherweise
sehr früh zwischen physikalischer und psychologischer Kausalität unterscheiden.
Menschen und Tiere können sich von alleine bewegen, während dies nicht für unbe-
lebte Objekte gilt. Es gibt aber noch weitere wichtige Unterschiede im Verhalten
beider Objektarten. So können Lebewesen kontingent auf Äußerungen des Kindes
reagieren, mit ihnen kommunizieren und zielgerichtet handeln — Eigenschaften, die
unbelebte Objekte nicht aufweisen. Wie unterschiedliche Säuglingsstudien demon-
strieren, sind Babys sehr früh sensibel für entsprechende Informationen, was belegt,
dass eine fundamentale ontologische Differenzierung zwischen Lebewesen und
unbelebten Objekten vermutlich zur Grundausstattung des menschlichen Geistes
gehört. Gleichzeitig machen die Studien deutlich, dass Kinder früh zu kausalem
Denken in der Lage sind.
Untersuchungen unserer eigenen Arbeitsgruppen belegen, dass kausales Den-
ken bereits mit sieben Monaten möglich ist. Um diesen Nachweis zu erbringen, ver-
wendeten wir einen Versuchsaufbau ohne Wandschirm. Die Babys saßen wieder vor
 
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