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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2011 — 2012

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I. Das Geschäftsjahr 2011
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Antrittsreden
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Bock, Hans Georg: Antrittsrede von Herrn Hans Georg Bock an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften vom 17. April 2011
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https://doi.org/10.11588/diglit.55657#0151
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ANTRITTSREDEN

stürzte mich auf die neue Richtung Optimierung und optimale Steuerung mit kon-
kreten Anwendungen aus der Raumfahrt- und Fahrzeugtechnik, die Bulirsch mit-
brachte.
Mein Studium hat deswegen wohl ein bisschen länger gedauert, vielleicht
auch, weil ich zeitweilig mehr Interesse an Auftritten unserer Band im Kölner Blues-
Club hatte. Ich spielte damals leidlich gut Gitarre, was heute mangels Übung nicht
mehr der Fall ist. Zu einer Laufbahn als Musiker hätte es allerdings nie gereicht.
Bulirsch wurde dann nach München berufen. Ich konnte nach meinem
Diplom leider nicht wie gewünscht mit ihm gehen, da Bayern damals das NRW-
Staatsexamen meiner Frau nicht anerkannte. Er empfahl mich aber weiter zur Pro-
motion bei Jens Frehse in Bonn, einem Vertreter der „harten“ Analysis mit einem
Faible für Algorithmik und Anwendungen. Die Zeit bei ihm hat mich ebenfalls sehr
beeinflusst.
Frehse hatte ein ungewöhnliches Verständnis von „früher wissenschaftlicher
Selbständigkeit“. Ich durfte im Bonner SFB sogleich meine eigene Arbeitsgruppe
aufbauen, „Parameterschätzung und optimale Steuerung bei nichtlinearen Differen-
tialgleichungen“. Ich lernte also gleichzeitig zu forschen und Drittmittelanträge zu
schreiben.
In Bonn entwickelte ich die ersten sogenannten „direkten“ und „all-at-once“
Optimierungsmethoden, die heute den State of the Art bei der Optimierung dyna-
mischer Prozesse darstellen. Auf einer Tagung lernte ich Richard Longman von der
Columbia University New York kennen, Professor für Mechanical Engineering.
Aus dieser Begegnung entwickelte sich eine über dreißigjährige wissenschaftliche
Zusammenarbeit mit zahlreichen Publikationen und eine enge persönliche Freund-
schaft.
Richard hatte ein Projekt, die Minimierung des Fahrenergie-Verb rauch der
New York Subway. Er hatte Mechanik und Elektrik der U-Bahn-Fahrzeuge model-
liert und ich hatte die richtigen Ideen für neue Lösungsalgorithmen auf dem Com-
puter. Die Ergebnisse waren spektakulär: getestete Einsparungen auf der Flushing
Line um 18 Prozent! Wir waren unserer Zeit dabei sehr weit voraus. Erst in letzter
Zeit erleben solche „gemischt-ganzzahligen“ nichtlinearen Steuerungsprobleme
einen Boom. Andere erfolgreiche mathematische Forschungsergebnisse mit Anwen-
dungen in der Flugdynamik und bei der Optimierung von Crashtestversuchen in der
Industrie folgten.
Die Begeisterung für solche Erfolge der Mathematik auch in den Anwendun-
gen wurde in den achtziger Jahren aber nicht von allen Fachkollegen geteilt. „Wenn
man das, was Bock macht, wirklich praktisch gebrauchen kann, kann es doch eigent-
lich gar keine Mathematik sein, sondern eher Ingenieurwissenschaft oder bestenfalls
noch Informatik“. Auf dieses Originalzitat bin ich heute sehr stolz. Glücklicher-
weise gab es aber auch schon in den achtziger Jahren weitsichtige Mathematiker,
die diese neue Art Mathematik zu schätzen wussten, wie Professor Willi Jäger. „Über
die Existenz von Lösungen solcher Probleme kann man gar nichts zeigen, aber
dann gibt es junge Leute wie den Bock, der rechnet sie einfach auf dem Computer
aus.“
 
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