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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2011 — 2012

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I. Das Geschäftsjahr 2011
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Antrittsreden
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Leuthold, Jürg: Antrittsrede von Herrn Jürg Leuthold an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften vom 22. Januar 2011
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https://doi.org/10.11588/diglit.55657#0161
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ANTRITTSREDEN

auch zwei verschiedene Techniken, mit welchen wir 40 Gbit/s über 2000 km über-
tragen konnten. Meine Chips waren in beiden Systemen eingebaut.
In der Folge arbeitete ich an der Kommerzialisierung. Mittlerweile hatte ich
dank der Erfolge Tausende von Stockoptionen. Die Lucent-Aktien kletterten auf
80$, und ich träumte vom eigenen Haus. Die amerikanische Telekom-Firma MCI
hörte von den Experimenten und ließ mich für ein Treffen mit dem CTO nach
Denver fliegen. Es wurde ein Gegenbesuch mit Labordemonstrationen vereinbart.
Und tatsächlich kam die ganze Führungsmannschaft nach Holmdel. Ich war da,
wovon man eigentlich nur träumen konnte — und es hätte für mich wohl zu einem
der größten Tage werden können. Doch das Schicksal wollte es, dass MCI von allen
möglichen Tagen sich für einen Besuch am 11. September 2001 entschied. Ich hatte
den ersten Vortrag früh am Morgen. Als ich den Vortragssaal verließ, stand ich in
einem verwaisten Korridor. Das hatte ich noch nie erlebt. Ich war irritiert und such-
te die andern Mitarbeiter. Ich fand sie alle versammelt in der Bibliothek. Sie starrten
wortlos auf den einen Fernseher, auf welchem man soeben sehen konnte, wie das
zweite Flugzeug ins World Trade Center flog. Wir stiegen auf den Telegraph Hill und
beobachteten mit Entsetzen die Rauchwolken über New York.
Nun, die Geschichte wendete sich. MCI ging bankrott. Die Telekom-Blase
platzte — und meine Stockoptionen erreichten ein Allzeittief von 50 Cent, genau zu
dem Zeitpunkt, als ich sie hätte einlösen können. Jeden Tag wurden Mitarbeiter ent-
lassen. Die Mitarbeiterzahl wurde auf ca. ein Drittel zurückgefahren. Meine Stelle
war zum Glück nicht in Gefahr. Ich hatte einen externen Auftrag und konnte als
einer der Wenigen noch einen Mitarbeiter einstellen. Ein ganzes Jahr lang durften
wir keinen einzigen Cent ausgeben. Ich hatte in der Zwischenzeit allerdings eines
der modernsten Labs und konnte das verkraften. So konnten wir im Jahr 2002 trotz-
dem zeigen, dass man 40 Gbit/s auch über 1 Million Kilometer senden konnte. Ein
schöner Rekord (allerdings auf einem Planeten wie der Erde nur von beschränktem
Nutzen).
Im Jahr 2004 erhielt ich den Ruf nach Karlsruhe, wo mir die Leitung des
Instituts für Photonik und Quantenelektronik übertragen wurde. Dank der vielen
exzellenten Studenten und dank der unermüdlichen Hilfe des Kollegen Wolfgang
Freude konnten wir mittlerweile auch in Karlsruhe Erfolge feiern. Im Kampf um
einen Platz bei den OFC Postdeadline Papers sind wir regelmäßig dabei. So hatten
wir den schnellsten Silizium-Chip, den ersten voll-optischen Grooming Router, und
im Frühjahr 2010 kodierten wir erstmals 10 Tbit/s auf einen einzigen Laser.
Seit dem 1. Jan. 2011 wurde mir die Leitung des Instituts für Mikro Struktur-
technik — einem KIT Helmholtz Institut am Campus Nord — übertragen. Wir sind
dabei, die beiden Institute zusammenzuführen - und werden hoffentlich dank der
neuen Möglichkeiten noch viele Gelegenheiten haben, die Grenzen der Physik und
insbesondere der Kommunikation neu auszuloten.

Ich bedanke mich für die Ehre, in Ihren Kreis aufgenommen worden zu sein.
 
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