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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2011 — 2012

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I. Das Geschäftsjahr 2011
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Antrittsreden
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Conard, Nicholas John: Antrittsrede von Herrn Nicholas J. Conard an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften vom 29. Oktober 2011
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https://doi.org/10.11588/diglit.55657#0176
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Nicholas J. Conard

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Seit meiner Ankunft in Tübingen befassen sich meine Forschungen mit den
späteren Abschnitten der menschlichen Evolution im Verlaufe der letzten 500.000
Jahre. Ich genieße die Geländearbeiten und grabe seit 1996 in jedem Jahr in Baden-
Württemberg. 1998 habe ich mit Geländearbeiten in Südafrika begonnen, seit 1999
arbeite ich in Syrien und seit 2004 im Iran. Diese Projekte schreiten in nahezu jedem
Jahr voran, und in allen Fällen ist es das Ziel, langfristige interdisziplinäre Forschun-
gen zu betreiben und Studenten auf den Gebieten der Paläolithischen Archäologie
und der menschlichen Evolution auszubilden. Während es manche Kollegen vorzie-
hen, von Projekt zu Projekt zu springen und sich nur zeitweilig der Geländearbeit
zu widmen, bin ich der Meinung, dass ein größerer wissenschaftlicher Fortschritt
durch beständige Forschungspräsenz und durch eine betonte Kontinuität in archäo-
logischen Forschungsprogrammen erzielt werden kann
Außer meinen Arbeiten zu den späteren Abschnitten der menschlichen Evolu-
tion gehört die Herausbildung neolithischer Gesellschaften im Vorderen Orient zu
meinen langfristigen Forschungsinteressen. Angefangen bei meinem Studium in
Rochester und später in Yale, war ich stets fasziniert von der Frage, warum paläo-
lithische Jäger und Sammler nach vielen Zehntausenden von Jahren damit begannen,
neue Subsistenzstrategien auf der Basis domestizierter Pflanzen und Tiere zu ent-
wickeln. Die Ausgrabungen in Syrien und im Iran haben in den vergangenen Jahren
wichtige neue Daten zu dieser Problematik geliefert, und ich hoffe, in den kommen-
den Jahren auf diesem Gebiet nennenswerte Fortschritte zu erzielen wie auch bei den
damit zusammenhängenden Problemkreisen des Auftauchens sesshaften Dorflebens,
sozialer Schichtung sowie der Entwicklung komplexer soziökonomischer Systeme.
Mit Frank Hole als Doktorvater und Andrew Moore als einem meiner Be-
treuer fühle ich mich ganz in der Forschungstradition eines Robert Braidwood und
einer Kathleen Kenyon, die die Dissertation meines Betreuers betreuten und die-
jenigen Forschungsmeinungen definierten, die unser Verständnis von der Herausbil-
dung neolithischer Lebensweisen im Vorderen Orient geprägt haben. Von daher
betrachtet mag ich als wissenschaftlich konservativ gelten, wenn ich Leuten wie
Millon, Bosinski, Hole und vielen anderen danken möchte, die mich zum Archäolo-
gen ausgebildet haben. Auch wenn ich die unbedingte Notwendigkeit neuer und
besserer Informationen über unsere Vergangenheit betone, so bin ich doch oft
erstaunt über die Erkenntnisse, die frühere Archäologengenerationen zu diesem
Gebiet beigetragen haben. Das immer weiter steigende Tempo, mit dem neue Ideen
vorgebracht werden, deren immer stärkere Fluktuation sowie immer neue Publika-
tionen haben nicht immer zu substantiellen Durchbrüchen geführt, und in meiner
Lehre versuche ich, die bedeutenden Beiträge früherer Generationen und die Not-
wendigkeit des Lesens wissenschaftlicher Primärliteratur zu betonen. Gleichzeitig
hebe ich hervor, wie wichtig es ist, ernsthafte Langzeitforschung zu betreiben anstatt
ständig Modeerscheinungen und populären Trends in unserem Fachgebiet hinter-
herzulaufen. Trends kommen und gehen, aber ernsthafte Forschung ist dazu angetan,
von bleibendem Wert zu sein. Ich stelle mir gerne vor, dass meine Forschungen in
Deutschland, Südafrika, Syrien und im Iran auf längere Sicht die Gültigkeit dieser
Sichtweise bestätigen werden.
 
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